Artikel von Mónica Galvez, honduranische Menschenrechtsbegleiterin von Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras.
Tegucigalpa, Honduras
Ich war noch sehr jung, als ich das erste Mal psychologische Unterstützung erhielt. Mein Alter weiß nicht mehr genau, aber es war in der frühen Schulzeit. Meine Mutter brachte mich an den Wochenenden in einen kleinen Raum, wo wir darauf warteten, abgeholt zu werden. Die Person, die uns abholte, stellte mir Fragen über mich und gab mir Farbstifte, damit ich malen sollte, was mir erzählt wurde. Das war meine erste psychische Behandlung.
Als Kind verstand ich nicht, warum diese unbekannte Person so sehr daran interessiert war, mich zum Reden zu bringen und mich malen zu lassen. Als ich älter wurde, verstand ich, dass sie meinen Eltern half, meine Fixierungen und möglichen Defizite bereits in meiner Kindheit zu erkennen und zu behandeln.
Im Verlauf meiner 25 Lebensjahre habe ich diese Behandlung vergessen – oder vielmehr: Ich habe aufgehört, mich an sie zu erinnern, und habe heute Schwierigkeiten, die Zeit mit der ersten Psychologin in Erinnerung zu rufen. Ich weiß nicht genau, was mich dazu brachte die Behandlung zu vergessen. Vielleicht war es die jahrelange Unkenntnis darüber war, dass ich mich einige Wochen in Therapie befand, oder die Angst, die ich verspürte, als mir dies bewusst wurde.
Was auch immer der Grund sein mag, das Stigma existierte. Wenn ich davon sprach, dass ich mich in Therapie befinde, musste ich davon ausgehen, dass die Leute mich in eine Schublade steckten. In meiner Jugend wollte ich das natürlich vermeiden. In einem Land wie Honduras, in dem es kaum Aufklärung über psychische Erkrankungen und Störungen gibt, kursiert eine Menge Fehlinformation. Dazu kommt, dass es für Honduranerinnen und Honduraner nur einen sehr begrenzten Zugang zu psychischen und mentalen Gesundheitsleistungen gibt.
Privatisierung der psychischen und mentalen Behandlungen
Nach Angaben der internationalen Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) existieren in Honduras nur 0,62 Psychologen, 0,66 Psychiater, 0,01 Kinderpsychiater und 0,23 Sozialarbeiter pro 100.000 Einwohner. Einige dieser Fachkräfte sind in öffentlichen Einrichtungen tätig, doch der staatliche Dienst ist – gemäss meiner eigenen Erfahrung – langsam, mangelhaft und für die Bedürfnisse der Bevölkerung unzureichend.
Dies zwingt die Menschen dazu, psychiatrische und psychologische Hilfe im privaten Sektor zu suchen. Das hat zur Folge, dass nur Personen, ein gesundes und würdiges Leben führen, die sich eine teure Behandlung leisten können. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik (INE) lebten im Juli 2021 54,0 % der honduranischen Haushalte in Armut, davon 28,9 % in extremer Armut. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat Probleme, geeignete Gesundheitsdienste für eine psychische Diagnose zu erhalten, es sei denn, die Betroffenen suchten private Zentren auf. Diese Zahlen sind besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jeder vierte Mensch irgendwann in seinem Leben an einer psychischen Störung leidet. Obwohl es sich um ein wichtiges Bedürfnis handelt, stellt die WHO auch fest, dass zwischen 35 % und 50 % der Menschen mit einer psychischen Störung keine oder zumindest keine angemessene Behandlung erhalten. Dies ist für Honduras ganz sicher zutreffend.
Ich will keine Privilegien, ich will Rechte
Es gibt in Honduras nur wenige Räume ohne Stigmatisierung, die Zugang zu umfassender psychiatrischer oder psychologischer Betreuung ermöglichen, und die Situation verschlechtert sich kontinuierlich. Psychische Gesundheit ist kein Privileg oder Luxus, sondern ein Recht, und es ist die Aufgabe des Staates, seiner Bevölkerung minimale Voraussetzungen zu bieten. Aufklärung und Information über diese Themen sind auch von grundlegender Bedeutung, um Stereotypen und falschen Annahmen über mentalen Krankheiten oder Schwierigkeiten vorzubeugen.
Heute bin ich stolz darauf, offen über psychische Gesundheit sprechen zu können. Ich bin dankbar für die Behandlungen, die ich bekommen haben, und ich achte dank dieser Therapien besonders auf meine Gefühle und Gedanken. Ich habe keine Angst mehr vor diesen kleinen, engen Räumen, in denen ich darauf warte, dass mir jemand Fragen über mich stellt. Im Laufe der Zeit haben sich die Räume in ein Ort der Sicherheit und Ruhe verwandelt. Nun akzeptiere ich diesen Raum, denn er gibt mir Sicherheit. Sehr schmerzlich aber bleibt es, zu wissen, dass ich diesen Umgang mit der pychischen Behandlung aus einem Privileg heraus vollziehen konnte – und nicht, weil es ein Recht ist, auf das ich als Honduranerin Anspruch habe.
Bildlegende: Illustration aus der spanischen Foto-Plattform Freepok.es