Welche Art von Gerechtigkeit ist für die Opfer der Repressionen nach dem Putsch in Honduras möglich?

Artikel von Celia, internationale Menschenrechtsbegleiterin von Peace Watch Switzerland (PWS).

Tegucigalpa, Honduras.

Am 12. Januar 2025 beschloss ein honduranischer Richter, ein Strafverfahren gegen drei ehemalige Militärs wegen des Todes eines jungen Demonstranten während einer Demonstration im Jahr 2009 zu eröffnen. Dies ist ein symbolischer Fall für die gewaltsame Unterdrückung, die in den Tagen nach dem Staatsstreich durch die Streitkräfte stattfand. Obwohl die Familie des Opfers mit Unterstützung des Komitees der Angehörigen der Verhafteten und Verschwundenen in Honduras (Cofadeh) den Fall vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission gebracht hat, ist es nun eine nationale Instanz, die versuchen wird, die Fakten zu klären und Gerechtigkeit in einem Land zu schaffen, das immer noch durch den Putsch polarisiert ist.

Fünfzehn Jahre sind seit dem Staatsstreich zum Sturz des ehemaligen Präsidenten Manuel Zelaya vergangen. Seitdem sind die Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die von den Sicherheitskräften in den Tagen nach dem Putsch begangen wurden, nie vor Gericht gebracht worden. Der gewaltsame Tod des 19-jährigen Isy Obed während der Demonstration am 5. Juli 2009 ist einer der vielen Fälle, die jahrelang ungestraft blieben. Die Eröffnung des Prozesses gegen den damaligen Generalstabschef Romeo Vásquez Velasquez und zwei weitere ehemalige hochrangige Armeeoffiziere wegen Mordes und versuchten Mordes weckt die Hoffnung auf Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit für die Opfer.

Eine Woche nach dem Staatsstreich, am 5. Juli 2009, strömten rund 350’000 Demonstranten zum Flughafen Toncontín in Tegucigalpa[1], um den gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya zu begrüssen, der seine Rückkehr ins Land angekündigt hatte. Die Infrastruktur wurde von Sicherheits-, Polizei- und Militärkräften bewacht. Als das Flugzeug des Präsidenten zu landen begann, näherten sich einige Demonstranten dem Gitter, das sie von der Landebahn trennte, um zu versuchen, hindurchzukommen. In diesem Moment begann das Militär aus der Landebahn mit Tränengaskanistern und scharfen Geschossen in die Menge zu schiessen. Dabei wurden mehrere Personen verletzt, darunter Alex Zavala, der am Oberschenkel mit einem Projektil verletzt wurde und der nun im Strafverfahren als Kläger auftritt. Isy Obed Murillo wurde in den Schädel geschossen und starb einige Minuten später.

Bild aus einem BBC-Bericht über den Flughafen Toncontin vom 5. Juli 2009.

„Diese fünfzehn Jahre waren schmerzhaft, manchmal schliesst sich die Wunde, manchmal reisst sie wieder auf. Auch wenn wir in Versammlungen oder auf der Strasse weinen, fordern wir Gerechtigkeit“, sagte die Mutter von Isy Obed auf einer Pressekonferenz, die das Komitee der Angehörigen der Verhafteten und Verschwundenen in Honduras (Cofadeh) wenige Tage vor der ersten Anhörung organisiert hatte. Diese Menschenrechtsorganisation setzt sich seit den 1980er Jahren für das historische Gedenken an die Opfer staatlicher Übergriffe ein.

Der Bericht der Wahrheitskommission und die Suche nach internationaler Gerechtigkeit

Die Geschehnisse auf dem Flughafen Toncontín in Tegucigalpa waren im Kontext des Putsches kein Einzelfall. Die Unterdrückung öffentlicher Demonstrationen und die exzessive Anwendung von Gewalt durch staatliche Vertreter war vielmehr ein Muster, das sich in ganz Honduras wiederholte. Laut dem 2012 veröffentlichten Bericht der Wahrheitskommission[2] mit dem Titel „die massgebliche Stimme ist die der Opfer“, fanden ähnliche Vorfälle in El Paraíso, in Choloma, in San Pedro Sula und in verschiedenen Teilen des Zentralbezirks statt. Cofadeh dokumentierte 167 Tötungen im Zusammenhang mit der Krise von 2009 und legte der Staatsanwaltschaft 90 Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen vor: willkürliche Verhaftungen, Folter, Vergewaltigungen und Tötungsdelikte.

Da die Staatsanwaltschaft nicht reagierte, brachten Cofadeh und die Familie von Isy Obed den Fall 2013 vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR)[3]. Dieser entschied, dass die Zivilbevölkerung nicht als „Feind“ betrachtet werden darf und dass die Sicherheit der Bürger “durch den Schutz und die angemessene Kontrolle der an Demonstrationen teilnehmenden Zivilisten gewährleistet werden muss”.

Der Staat Honduras weist seine Verantwortung für den Tod von Isy Obed zurück, unter anderem, weil er behauptet, dass die innerstaatlichen Rechtsmittel noch nicht ausgeschöpft worden seien.  Die Beschwerdeführenden prangern „die fehlende Untersuchung und Bestrafung der Verantwortlichen“ und „die übermässig lange Dauer der strafrechtlichen Ermittlungen“ an. Der Ausgang des Prozesses gegen die ehemaligen Soldaten könnte das vor der IAGMR eingeleitete Verfahren beschleunigen.

Im März 2021 verurteilte der Interamerikanische Gerichtshof den Staat Honduras für den Tod von Vicky Hernández, einer Aktivistin und Transfrau, die am 28. Juni 2009 während der Ausgangssperre in San Pedro Sula ermordet wurde. Im Urteil[4] stellte der Gerichtshof fest, dass es Beweise für die Beteiligung staatlicher Beamter (Polizei) an dem Verbrechen gibt und dass die Umstände nie geklärt wurden, was auf die Verantwortung des Staates hinweist.

Demonstranten fordern vor dem Gericht in Tegucigalpa Gerechtigkeit für Isis Obed, PWS 10. Januar 2025.

Der historische Gerichtsprozess gegen pensionierte Militärangehörige

Das Team von Peace Watch Switzerland beobachtete die erste Anhörung von Romeo Vásquez Velásquez, Venancio Cervantes Suazo und Carlos Roberto Puerto Funéz, pensionierte Militäroffiziere, die im Jahr 2009 hohe militärische Positionen innehatten.

Bei der Anhörung wurden die Flugbahnen der Kugeln, die in die Mauern in der Nähe des Flughafens geschossen wurden, das Kaliber der Kugeln und die Art der Waffen erörtert, aber auch die Tatsache, dass der Tatort zu diesem Zeitpunkt nicht zugänglich war, weil er vom Militär bewacht wurde. Es wurde auch erklärt, was eine Befehlskette ist, wie militärische Operationen funktionieren und wer dafür verantwortlich ist. Die Verteidigung betonte die Einsatzregeln der Soldaten und die Möglichkeit, Waffen zur „Abschreckung oder Verteidigung“ einzusetzen, eine Entscheidung, die dem Ermessen jedes einzelnen Soldaten überlassen bleibt, je nachdem, wie er die Situation einschätzt.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft für Menschenrechte war die Gewaltanwendung am 5. Juli 2009 jedoch nicht verhältnismässig, da die Demonstration friedlich verlief und die Soldaten aus grosser Entfernung schossen, ohne sich in Gefahr zu befinden. Die Ermittlungsakte belegt, dass 167 Patronenhülsen des Kalibers 5,56 gefunden wurden, die den von den staatlichen Kräften verwendeten Geschossen entsprechen. Da während der mehr als zwanzigminütigen Schiesserei kein Waffenstillstand angeordnet und keine internen Ermittlungen durchgeführt wurden, klagte die Staatanwaltschaft die ehemaligen Leiter des Generalstabs und der Spezialeinheiten wegen Mordes und versuchten Mordes durch Unterlassen an.

Plakat der Demonstranten, das auf die Verantwortlichen und Komplizen des Putsches hinweist, PWS 10. Januar 2025

Nach Prüfung des Beweismaterials und Anhörung der Zeugen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung kam der Richter zum Schluss, dass die Beweislage für die Eröffnung eines Verfahrens wegen Mordes und versuchten Mordes ausreichend war. Er stellte die drei Angeklagten unter Hausarrest. Dieser Prozess könnte ein historischer Meilenstein für die Anerkennung der Opfer und die Zuweisung der strafrechtlichen Verantwortung an die Hierarchien in Fällen von Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte in Honduras sein.


Titelfoto: Demonstranten versammelten sich auf dem Platz, wo der junge Isis Obed ermordet wurde. PWS 10. Januar 2025.

[1] https://derechosdelamujer.org/wp-content/uploads/2016/02/Informe-de-la-Comision-de-Verdad.pdf

[2] https://derechosdelamujer.org/wp-content/uploads/2016/02/Informe-de-la-Comision-de-Verdad.pdf

[3] https://www.oas.org/es/cidh/decisiones/2023/HNAD_433-13_ES.PDF

[4] https://www.corteidh.or.cr/docs/casos/articulos/seriec_422_esp.pdf