Grüne Vertreibung in Bajo Aguán: „Los Cachos” und die Enteignung der Cooperativa Camarones

Artikel von Luis Mangrane, Menschenrechtsbegleiter von Peace Watch Switzerland in Honduras.

Tegucigalpa, Francisco Morazán, Honduras

Seit Dezember 2024 ist die Bauerngemeinschaft der Agrargenossenschaft Camarones in Quebrada de Arena, Gemeinde Tocoa, Opfer der Vertreibung durch die kriminelle Bande „Los Cachos“. Die Plataforma Agraria und COPA, denen diese Genossenschaft angehört, fordern vom honduranischen Staat die Räumung und Auflösung dieser kriminellen Vereinigung inmitten der politischen Unsicherheit des Wahlprozesses, den Honduras derzeit durchläuft.

El Aguán ist eine fruchtbare Region an der honduranischen Karibikküste, die sich in den Departementen Atlántida und Yoro befindet. Die wirtschaftliche Hauptstadt ist Tocoa, und etwa 18 Kilometer entfernt liegen die Ländereien der Genossenschaft Camarones. Während der gesamten Fahrt und auf beiden Seiten der mit Schlaglöchern übersäten Strasse, die dorthin führt, erstreckt sich ein grünes Gewölbe aus Ölpalmenplantagen, soweit das Auge reicht. Seit dem 24. Dezember 2024, als die als Los Cachos bekannte kriminelle Gruppe die Cooperativa mit Schussswaffen angriff und ihr Land besetzte, leben die 150 Einwohner:innen dieser Gemeinde, darunter Kinder und ältere Menschen als Vertriebene. 

Umgebung der Kooperative Camerones. Foto: PWS, 2025

Durch Verleumdungs- und Hasskampagnen stigmatisiert, in denen sie abwertend als „Tacamiches” (Bauern) bezeichnet werden, sind sie auf dem Gelände der Cooperativa El Tranvío in der Nähe von Quebrada de Arenas unter der Aufsicht von Mitgliedern der Gruppe Los Cachos eingeschlossen. Zudem erteilt die kriminelle Gruppe den Verantwortlichen des Gesundheitszentrums und der Schule der Gemeinde Anweisungen, die Genossenschaftsmitglieder von Camarones und ihre Familien nicht zu versorgen.

Trotz der Schwere der aktuellen Ereignisse handelt es sich weder um eine Ausnahme noch um eine Anomalie in einer Region, die von sozialen und ökologischen Konflikten geprägt ist. Besonders der Bergbau, der grossflächige Anbau von Ölpalmen und der Drogenhandel tragen massgeblich zu diesen Konflikten bei. Sie stehen im direkten Zusammenhang mit der Kontrolle über Territorien, sind eng miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. In diesem Zusammenhang dokumentierte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), dass zwischen 2004 und 2018 247’000 Menschen in Honduras aufgrund der weit verbreiteten Gewalt innerhalb des Landes vertrieben wurden. Darüber hinaus schätzt die staatliche Nationale Menschenrechtskommission in Honduras (CONADEH), dass in einem Zeitraum von fünf Jahren (2019-2023) etwa 15’174 Menschen von Vertreibung bedroht waren oder vertrieben wurden.

Menschenrechtsbeobachter:innen von PWS besuchen die Kooperative Camerones. Foto: PWS, 2025

PWS begleitet die Plataforma Agraria und die Coordinadora de Organizaciones Populares del Aguan (COPA), beides Organisationen, die Basisorganisationen und Bauerngenossenschaften der Region vernetzen. Im November besuchten wir im Rahmen einer Begleitung die Familien der Gemeinde Camarones und den Ort, an dem ihre Mitglieder innerhalb der Genossenschaft El Tranvío eingeschlossen sind.

José (Name aus Sicherheitsgründen geändert), ein Bauer aus Camarones, berichtet, dass die Gemeinschaft seit mehr als drei Jahren daran arbeitete, das Land der Cooperativa Camarones zurückzugewinnen, als es zu dem Angriff kam. Bereits zuvor waren sie bedroht worden und wussten seit 2023 von Plänen, sie zu vertreiben. Noch vor der eigentlichen Vertreibung kam es am 8. Dezember zu einem Vorfall: Während sie einen Teil des Geländes nahe Quebrada de Arena einzäunten, wurden sie von vermeintlichen „Viehzüchtern” mit Macheten angegriffen. Die Versuche, die Polizei zur Vermittlung zu bewegen, blieben erfolglos. Am 24. Dezember, als die meisten Bauern ihre Familien besuchten und nur eine Gruppe von Rondines – Wachleute der Cooperativa – zurückgeblieben war, kam es schliesslich zum Angriff. Ein Teil der Genossenschaft wurde beschlagnahmt, Motorräder wurden gestohlen. Für deren Rückgabe verlangten die Angreifer später zweitausend Lempiras pro Motorrad. Ausserdem nahmen sie ihnen Vieh, Karren, einen Traktoranhänger sowie Werkzeuge wie Fräsen, Malayos (Messer zum Schneiden von Palmen) und Schweissgeräte weg, erinnert sich José.

Obwohl die Gemeinschaft am 25. Dezember Unterstützung von den benachbarten Genossenschaften El Chile und Tranvío erhielten, konnte die Vertreibung an diesem Tag nicht verhindert werden. Sie umzingelten und schossen auf sie, die Kugeln pfiffen ihnen um die Ohren, und die Polizei war völlig wirkungslos, berichtet José.

Umgebung der Kooperative Camerones. Foto: PWS, 2025

Die darauffolgende trügerische Ruhe hielt nicht lange an: Am 27. Januar griffen Los Cachos gleichzeitig die Genossenschaften El Chile und Tranvío an. Auf dem Gelände von El Tranvío befindet sich seit der Vertreibung auch die provisorische Siedlung der Genossenschaft Camarones, da ihr eigenes Land regelmässig überflutet wird. Entsprechend heftig erlebten die Familien diesen zweiten Angriff. Während des Angriffs wurde einer der Bewohner von Camarones durch einen Schuss am Fuss verletzt. Diesmal reagierte die Polizei. Dank der Präsenz eines gepanzerten Polizeifahrzeugs, einer sogenannten „Black Mamba”, zogen sich die Angreifer zurück. Es gelang zudem, einen Genossenschaftszugehörigen zu befreien, der während des Angriffs entführt und gefoltert worden war. Dennoch setzten sich die Übergriffe am 29. Januar fort, begleitet von einer Verleumdungskampagne in den sozialen Netzwerken. José ist überzeugt, dass die Angreifer Unterstützung von einer weiteren Gruppe, den Canechos, erhielten und dass sogar dreissig bewaffnete Männer aus dem Werk des Unternehmens Dinant beteiligt waren.

Seit der Vertreibung ist inzwischen fast ein Jahr intensiver Arbeit der Plataforma Agraria und der COPA vergangen, um das Land der Genossenschaft Camarones zurückzuerlangen. Diese Arbeit begann am 25. Dezember mit der ersten Anzeige bei der Polizei. Am 27. Dezember versuchten sie, in Begleitung von zwei Journalisten durch ein Seitentor auf das Grundstück zu kommen, wurden jedoch von Angreifern, die sich hinter Palmbüschen versteckt hielten, mit scharfer Munition angegriffen. Am 6. Januar unternahmen sie einen weiteren Versuch auf das Gelände zu gelangen, diesmal über ein anderes Tor. Sie wurden nicht mit Schüssen, sondern mit Steinen angegriffen. Rund 25 Bäuerinnen und Bauern wurden dabei verletzt, ebenso mehrerer Polizisten. Anschliessend mobilisierten die Gemeinschaften in Aguán und Tegucigalpa, wo sie mehr als eine Woche lang vor dem Obersten Gerichtshof campierten.

Die von José geschilderten Ereignisse wurden von der honduranischen Justiz bestätigt. In diesem Jahr leitete die Staatsanwaltschaft Strafverfahren gegen mehrere Mitglieder der Gruppe Los Cachos ein; einige von ihnen, darunter ihr mutmasslicher Anführer Lesli Filimón Escobar, befinden sich derzeit in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess. Dennoch ist es bislang nicht gelungen, die kriminelle Struktur vollständig zu zerschlagen. Die Gruppe bewirtschaftet weiterhin Ölpalmen, verkauft das Öl an nahegelegene Extraktionsanlagen und scheint sich derzeit mit neuen Führungspersonen neu zu formieren.  

Küche der Kooperative Camerones. Foto: PWS, 2025

Die Situation der Hilflosigkeit und tief verwurzelten Straflosigkeit, in der die bäuerliche Bevölkerung im Aguán lebt, ist das Ergebnis eines langen historischen Prozesses. Das vom honduranischen Staat Ende des 19. Jahrhunderts eingeleitete liberale Reformprojekt begünstigte umfangreiche Konzessionen an ausländische Investoren – die Vorläufer der heutigen Maquilas und “Zonen für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung” (ZEDES). Dies führte dazu, dass US-Unternehmen zwischen 1919 und 1929 im Zuge des Booms der Bananenindustrie den Grossteil des Landes in dieser Region aufkauften. Ab den 1930er Jahren, als die Bananenplantagen von Krankheiten wie Sigatoka befallen wurden, gaben die US-amerikanischen transnationalen Unternehmen diese Ländereien auf und verlagerten ihre Aktivitäten an andere Standorte entlang der Pazifikküste, darunter Costa Rica, Guatemala, Panama und Ecuador.

In ihrem Buch „Todavía estamos en deuda con la lucha campesina en el Aguán por la reforma agraria” (Wir stehen noch immer in der Schuld der Bauernbewegung für die Agrarreform im Aguán, 2025) weisen Ruy Díaz und Germán Zepeda darauf hin, dass das Gebiet ab den 1940er Jahren aufgrund der weitläufigen Sümpfe und grossen Lagunen für den landwirtschaftlichen Anbau als ungeeignet galt. Diese verlassenen Ländereien gingen daraufhin in den Besitz des Staates und nationaler Grossgrundbesitzer über.

In den 1970er Jahren begann der Prozess der Agrarreform, in dessen Rahmen Land an Bäuerinnen und Bauern verteilt wurde. Dies ging mit einer staatlich geförderten Migration in diese Region einher: Menschen aus verschiedenen Teilen des Landes wurden angesiedelt – allerdings ohne grundlegende Unterstützung oder Infrastruktur. Während der neoliberalen Phase der 1990er Jahre führte eine Gegenreform jedoch dazu, dass Grossgrundbesitzer einen erheblichen Teil dieser Flächen unrechtmässig aneigneten. Durch das Gesetzt zur Modernisierung des Agrarsektors wurden viele der zuvor den Genossenschaften übertragenen Grundstücke im Rahmen eines Rückübertragungsprozesses wieder entzogen, sodass Grossgrundbesitzer und Agrarunternehmen am Ende die fruchtbarsten und strategisch wichtigsten Ländereien erhielten.  

In ihrem Buch schildern Díaz und Zepeda detailliert, wie Tausende Hektar Land in die Hände von Grossgrundbesitzern übergingen und ebenso viele landlose Bauern und Bäuerinnen zu Tagelöhnern der neuen Eigentümer wurden. Verantwortlich dafür war eine Kombination aus Faktoren: die unzureichende Unterstützung der Agrarreform, die Privatisierung zentraler Dienstleistungen, fehlende technische Beratung und Kreditmöglichkeiten, die Abschaffung von Zöllen sowie Vorgehensweise der Unternehmer, die sich auf vielfältige Weise Land aneigneten – diese reichten von der Bestechung von Genossenschaftsführern über Drohungen und Morde an jene, die sich weigerten zu verkaufen, bis hin zur Einflussnahme auf Richter, Staatsanwälte und sogar Bankmanager. Hinzu kam das Eingreifen der Armee – all dies vor dem Hintergrund eines Preiszerfalls von Palmöl um 40 Prozent auf dem internationalen Markt. Díaz und Zapeda zitieren den Pater Ismael Moreno, dem zufolge 1984 Palmöl-Boom einsetzte. In dieser Zeit erreichten die militärische und politische Repression, der wirtschaftliche Aufschwung im Handel sowie die militärische Präsenz in der Region ihren Höhepunkt. Das Aguán-Tal entwickelte sich zu einem Trainingsgebiet für die US-Armee, Eliteeinheiten der salvadorianischen Streitkräfte, Truppen der nicaraguanischen Kontrarevolution sowie für die honduranische Armee. Es war eine Phase tiefgreifender Unruhe in ganz Mittelamerika – und Tocoa und Aguán bildeten das politisch-militärische wie wirtschaftliche Zentrum des Landes.

Zubereitung von Mahlzeiten in der improvisierten Küche. Foto: PWS, 2025

Trotz dieser repressiven Rahmenbedingungen wurde der Prozess zur Rückgewinnung der im Rahmen der Agrarreform vergebenen, später jedoch betrügerisch verkaufen Ländereien wieder aufgenommen. Ab 1997 begannen Bauernorganisationen wie COPA und Plataforma Agraria, illegale Vorgänge systematisch zu untersuchen. Bereits im folgenden Jahr reichten die ersten Genossenschaften Klagen ein, um das verlorene Land zurückzufordern.

Als die Bemühungen jedoch kaum Ergebnisse zeigten, wuchs die Frustration in den Gemeinden. Die Bauern griffen daraufhin zu direkten Druck- und Mobilisierungsmassnahmen. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts setzte eine neue Phase der bäuerlichen Kämpfe ein. Im Februar 2006 – wenige Tage nach dem Amtsantritt der Regierung Manuel Zelaya – organisierten die Gemeinden eine friedliche Strassenbesetzung in Tocoa, bekannt als „Toma de los Cinco Mil Machetes” („Besetzung der fünftausend Macheten”). 36 Stunden später traf eine staatliche Kommission ein, mit der die Bäuerinnen und Bauern eine Vereinbarung unterzeichneten, die jedoch nie umgesetzt wurde.

Der Prozess der Landrückgewinnung löste eine Welle von Gewalt und Repression aus, die nach dem Staatsstreich von 2009 noch drastisch zunahm. Grossgrundbesitzer setzten Armee, Polizei, private Sicherheitskräfte und paramilitärische Gruppen ein, um die Bäuerinnen und Bauern gewaltsam zu vertreiben. Seit 2010 wurden durch diese Strukturen mehr als 200 Menschen getötet. Allein im Jahr 2025 stieg die Zahl der Todesopfer auf elf.

Trotz dieses äusserst feindlichen Umfelds konnten die Agrarkämpfe in der Region vor allem dank der Arbeit von Organisationen wie Plataforma Agraria und COPA weitergeführt werden. Ihrem Einsatz ist es massgeblich zu verdanken, dass die Bäuerinnen und Bauern von Camarones nach einem Jahr der Vertreibung weiterhin in der Nähe ihrer enteigneten Grundstücke Widerstand leisten können.

Schule der Kooperative Camarones. Foto: PWS 

José berichtet, dass die Plataforma Agraria ihnen hilft, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken. Eine gemeinschaftlich organisierte Küche bereitet Mahlzeiten zu und verteilt sie an betroffene Familien. Besonders schwierig gestaltet sich die Bildungssituation: Viele Kinder besuchten ursprünglich die Schule in Quebrada Arenas, doch nach einer Hetzkampagne gegen die Plataforma Agraria infolge der Vertreibung wurde ihnen dort der Unterricht verweigert. Die meisten Kinder gehen nun die kleine Schule in Tranvío, die von der Genossenschaft selbst organisiert wird und auch für eine Lehrkraft sorgt. Die Gesundheitsversorgung ist ebenfalls stark eingeschränkt, da das Gesundheitszentrum von Quebrada Arena die Vertriebenen auf Anweisung der Gruppe Los Cachos nicht behandelt.

Bild eines Oktopusses, dessen Tentakel die Grossgrundbesitzer und kriminellen Gruppen darstellen, an einer Veranstaltung zum Gedenken an den ermordeten Menschenrechts- und Umweltaktivisten Juan López. Foto: PWS, 2025

Achtzig Jahre nach der Veröffentlichung des Romans „Prisión Verde“ (Grünes Gefängnis) von Ramón Amaya Amador – einem zentralen literarischen und politischen Bezugspunkt der honduranischen Arbeiterbewegung – hat seine Darstellung der Region Aguán kaum an Aktualität verloren. Noch immer prägen Ausbeutung, Gewalt, Armut und Landraub das Leben der Bevölkerung und zwingen sie dazu, sich im kollektiven Widerstand gegen Unterdrückung zu organisieren. Die Tentakel der Bananenunternehmen, die Amaya Amador als „den Oktopus“ bezeichnete und die Plantagen in ein „grünes Gefängnis“ verwandelten, sind heute jene der Grossgrundbesitzer und kriminellen Gruppen. Sie kontrollieren ein von Palmplantagen überzogenes Gebiet und vertreiben und enteignen Bäuerinnen und Bauern – darunter auch die Bewohner:innen von Camarones, die heute die Rolle der ausgebeuteten Bananenarbeiter:innen seines Romans einnehmen.