Vertreibungen der Zivilbevölkerung haben in Kolumbien seit jeher mit Gewalt stattgefunden. Grossgrundbesitzer und Viehzüchter, Drogenhändler und transnationale Unternehmen heuern bewaffnete Schlägertrupps an, um Bauern und Bäuerinnen gewaltsam von ihrem Land zu vertreiben. Oft wurde der bewaffnete Konflikt zwischen Staat und Guerillagruppierungen genutzt, um gegen Bauerngemeinschaften als angebliche Unterstützer der Guerilla vorzugehen und brutalste Massaker zu verüben. Seit die Gewalt im Lande im Zuge des Demobilisierungsprozesses der Paramilitärs und des Friedensprozesses mit den FARC merklich zurückgegangen ist, bedienen sich oben genannte Gruppen neuer und subtilerer Methoden, um sich Land für wirtschaftliche Groß-projekte, den Anbau oder Transport von Drogen oder andere Aktivitäten anzueignen. Zwar spielt die Gewalt und die Androhung von Gewalt immer noch eine wichtige Rolle in den vielen Landprozessen, doch die Mittel mit denen heute gegen BauerInnen vorgegangen wird, haben sich in vielen Fällen verändert, wenngleich sie ähnlich effektiv sind. Um diese Methoden und die Mischung aus psychologischem Terror, der Beeinflussung von Behörden und Gerichten, Drohungen, bewusster Spaltung von Gemeinschaften und Gewalt zu verdeutlichen, soll sich dieser Artikel mit dem Fall von Emilce, einer Bäuerin aus der Gemeinde Bella Unión und dem Kampf um die Verteidigung ihres Landes beschäftigen.
Emilce und ihr Mann Jhon Fredy leben seit über 18 Jahren gemeinsam mit ihrem Sohn Carlos auf ihrem Grundstück in der Gemeinde Bella Unión. Seit ein durch den Aggressor Rodrigo Lopez Henao herbeigeführter Haftbefehl gegen Jhon Fredy und drei weitere Anführer der Gemeinde vorliegt und diese deswegen untergetaucht sind, muss Emilce sich alleine um den Hof, die Tiere und die Bestellung der Felder kümmern. Doch damit nicht genug: Rodrigo, der den Gemeinden Bella Unión und El Guayabo seit Jahren zusetzt und sich als legitimer Eigentümer sämtlicher Grundstücke der beiden Gemeinden inszeniert, nutzt die von ihm herbeigeführte Abwesenheit Jhon Fredys gezielt aus, um Druck auf Emilce auszuüben. Zunächst besetzten seine Männer grosse Teile von Emilces Parzelle, führten Rodrigos Vieh zum weiden auf ihr Land und begannen mit dem Fällen von Bäumen und Errichten von elektrischen Zäunen. Als Gegenreaktion plante Emilce mit weiteren Mitgliedern der Gemeinde eine Aktion, um Rodrigos Vieh von ihrem Land zu vertreiben und ihre eigenen Rinder wieder zum weiden führen zu können. Als sie sich näherten, begannen Rodrigos Männer und Rodrigo selbst sie zu beleidigen und zu bedrohen. Um den Vorfall zu dokumentieren zückte Emilce ihre Kamera, worauf einer der Männer mit einem Stock auf sie einschlug und verletzte. Seit diesem Vorfall traut Emilce sich nicht mehr auf den besetzten Teil ihres Grundstücks und hat keine Möglichkeit mehr ihr Vieh auf die Weide zu führen.
Obwohl Emilce mehrfach Anzeige erstattet hat (was jedes mal einen beträchtlichen logistischen und finanziellen Aufwand bedeutet, um nach Puerto Wilches oder Barrancabermeja zu gelangen), kommen die Prozesse gegen Rodrigo nicht voran. Der zuständige Richter in Puerto Wilches – offensichtlich ein guter Bekannter Rodrigos – versucht eine aussergerichtliche Schlichtung herbeizuführen und der Polizeiinspektor gibt zu, wegen hohem Druckes nicht besonders handlungsfähig zu sein. Während viele Anzeigen gegen Rodrigo und seine Männer in bürokratischen Sackgassen feststecken, wurde die Anzeige Rodrigos gegen Don Alvaro, Jhon Fredy und zwei weitere Gemeindeanführer innerhalb kürzester Zeit verfolgt und führte zu einem Grosseinsatz der Polizei. Es ist offensichtlich, dass gegen die vier nichts vorliegt, doch durch geschicktes Verzögern des Prozesses erreicht Rodrigo, dass sich die Abwesenheit der wichtigen Anführer immer weiter verlängert und so die Gemeinde schwächt.
Noch bleibt Emilce ein kleines Stück ihres Landes, insbesondere ein Maisfeld, welches sie an eine Nachbarin verpachtet – fast die einzige Einnahmequelle, die ihr verbleibt. Doch während sie kürzlich ein Wochenende in Barrancabermeja verbrachte, um ihre Aussage bei der Staatsanwaltschaft zu machen, teilte Rodrigo der Nachbarin mit, sie brauche in Zukunft keine Pacht mehr an Emilce zu zahlen, da er sich des Maisfelds und des Restes von Emilces Grundstück, einschließlich ihres Hauses, schon bald aneignen würde. Sollte sie jedoch weiter das Maisfeld bestellen wollen, könne sie gerne mit ihm – Rodrigo – sprechen und die Pacht zukünftig an ihn zahlen. Zwar habe er Emilce zunächst ein kleines Stück ihres Landes lassen wollen, doch mit ihrer Anzeige habe sie ihn wütend gemacht, sodass er ihr nun alles wegnehmen wolle. Auch warnt er die Bewohner von Bella Unión, dass jedem der sich ihm widersetze, das gleiche Schicksal ereilen werde, wie Don Alvaro – den weiterhin inhaftierten Anführer der Gemeinde – und Emilces Ehemann Jhon Fredy, der das Dorf verlassen musste. Solche Aussagen verfehlen ihre Wirkung bei vielen verängstigten Bewohnern Bella Unións nicht.
Weiterhin verschafft Rodrigo seinen Drohungen eine verstärkte Wirkung durch das gemeinsame Auftreten im Dorf mit dem ehemaligen Bürgermeister von Santa Rosa im südlichen Bolivar – einem Mann mit nachgewiesenen Beziehungen zum Paramilitarismus und starkem Einfluss auf sämtliche lokalen Autoritäten. Jeder der Bewohner von Bella Unión und El Guayabo weiss, dass die Konfrontation mit diesem Herrn ein Risiko für Leib und Leben bedeuten kann. Viele der Mitstreiter Emilces trauen sich deshalb nicht mehr, sie zu unterstützen, bevorzugen ihr Land direkt aufzugeben oder lassen sich für etwas Geld und eine Sicherheitsgarantie auf die Seite Rodrigos ziehen. Selbst jene, die loyal zu Emilce stehen, wagen nicht mehr sie auf ihrem Grundstück zu begleiten.
Für Emilce bedeutet diese ganze Situation eine enorme psychische Belastung. Sie schläft seit Monaten schlecht, sorgt sich täglich um ihre Sicherheit und die ihres Sohnes, hat ihre letzten Ersparnisse verbraucht und weiss nicht, wie lange sie dem Druck noch standhalten kann. Sollte sich nicht bald etwas an der Bedrohungslage ändern oder Rodrigo auch das letzte Stück ihres Landes besetzen, wird sie ihr Haus verlassen müssen und damit effektiv vertrieben worden sein.
Deshalb begleiten wir von Peace Watch Switzerland und andere Organisationen Emilce. Nur mit internationaler Schutzbegleitung traut sie sich uns das besetzte Land zu zeigen und die regelmäßige Anwesenheit internationaler Beobachter in ihrem Haus gibt ihr etwas mehr Sicherheit und Zuversicht, dass sie nicht auf sich alleine gestellt ist. Auch zu Gerichtsverhandlungen und Gängen zur Polizei oder Staatsanwaltschaft würde sich Emilce alleine kaum noch trauen, da Rodrigos Männer immer aggressiver auftreten und sie ihre Drohungen nicht vergessen hat.
Fälle, wie den von Emilce gibt es in Kolumbien massenhaft. Täglich müssen Bauerinnen und Bauern ihr Land verlassen, da sie dem Druck , der auf verschiedenen Ebenen auf sie ausgeübt wird, nicht mehr standhalten können. Das Ergebnis ist eine weitere Konzentration des Landes auf wenige Besitzer und das Elend der vertriebenen Campesinos. Der Friedensvertrag mit den FARC, der Ende des Monats unterzeichnet und am 2. Oktober vom kolumbianischen Volk in einem Referendum abgesegnet werden muss, versucht zumindest teilweise gegen diese Entwicklung vorzugehen. Doch solange mächtige Interessen (Ex-Präsident Uribe und viele neo-paramilitärische Gruppen führen eine erbitterte Kampagne gegen den Vertrag) im Spiel sind und lokale Behörden aus Angst oder Korruption nicht unparteiisch handeln, ist es ein weiter Weg zu einem wahren Frieden und dem Ende der Vertreibungen in Kolumbien.
Hat dies auf Kolumbien verstehen rebloggt und kommentierte:
Internationale Schutzbegleitung bleibt auch nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages wichtig, vielleicht sogar noch mehr als zuvor. Danke für Eure Arbeit und compromiso:) Saludos de un exbrigadista de pbi-Barranca
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