Am 19. Mai dieses Jahres wurden José Mendez Torres, indigener Bürgermeister von Corozal Arriba sowie der Schatzmeister der selben Gemeinschaft, Melvin Álvarez García, verhaftet. Am 9. Juni nahm die Zivilpolizei Guatemalas (PNC) in der Gemeinde La Union, Departement Zacapa, Ignacio Sacarías Vasquez und eine weitere Person fest. Die Gemeinschaft (Comunidad) Corozal Arriba ist eine von vielen Ch’orti’ Dörfern im Grenzgebiet zu Honduras und gehört zu einer Maya-Ethnie, die über 60’000 Menschen zählt. Corozal Arriba wird von COMUNDICH (Koordination von Verbänden und Gemeinschaften für die integrale Entwicklung der Ch’orti’) begleitet, einer zivilgesellschaftlichen Organisation ohne politische, kommerzielle oder religiöse Absichten. COMUNDICH gehören 48 indigene und bäuerliche Gemeinschaften an. Die Zusammenarbeit zwischen ACOGUATE und COMUNDICH besteht seit 2007.
Vorgeschichte
Die drei Gefangenen werden des Mordes an Harrison Zuñiga beschuldigt. Die Tat erfolgte am Abend des 6. Juni 2013 in Corozal Arriba. Am frühen Nachmittag desselben Tages wurden auch drei Mitglieder der Gemeinschaft umgebracht, kurz nach einer Versammlung zur Aufteilung von Landbesitz im Rahmen eines Rückerstattungsprozesses durch den Staat, den die Comunidad seit vielen Jahren geführt hatte. Zuñiga, Schutzmann der Grossgrundbesitzerin Wilma Chew Casasola, war mit fünf anderen Männern in die Gemeinschaft eingedrungen, nach Aussagen der Bewohner von Corozal Arriba auf Anordnung von Chew Casasola – Eigentümerin jener Ländereien, die der indigenen Gemeinde zugesprochen worden waren. Kurz darauf waren die drei Bewohner tot.
Die formale Anerkennung von Corozal Arriba als indigene Gemeinschaft und die staatliche Bestätigung des gemeinschaftlichen Charakters der Ländereien wurden vom Gemeinderat von La Union im Jahr 2012 abgesegnet. Vorangegangen war eine langwierige Aufarbeitung der Dokumentation, Territorialgesetzgebungen und Grundbücher, die bis in das Jahr 1780 reichen. Diese Aufarbeitung ist ein Kernanliegen von COMUNDICH. Im September 2013 wurde eine Gesprächsrunde zwischen COMUNDICH, dem Grundbuchamt sowie zahlreichen lokalen und überregionalen Behörden veranlasst, um die Konflikte in den Ch’orti’-Regionen beizulegen. Nach zahlreichen Weitergaben der Kompetenzen liegt die Verantwortlichkeit der Gesprächsrunden mittlerweile beim Sekretariat für landwirtschaftliche Angelegenheiten, welches angibt, alle Dokumente des Verfahrens verloren zu haben, und einen Neubeginn der Gespräche unter geänderten Bedingungen anstrebt.
Kriminalisierung durch die Justiz
Die erste Anhörung von José Mendez Torres, Melvin Álvarez García und Ignacio Sacarias Vasquez im Strafgericht der ersten Instanz fand am 12. Juni 2017 statt. Die drei bleiben bis auf weiteres in Haft, die nächste Anhörung findet erst am 27. September 2017 statt. Massgeblich für die den dreien zur Last gelegten Taten sind die Aussagen von drei Zeugen. Die Anklageschrift ist bis heute nicht öffentlich, selbst der Anwalt von COMUNDICH hat keine vollständige Einsicht in die Akten. Was in der ersten Anhörung jedoch deutlich wurde ist, dass die Staatsanwaltschaft 32 weitere Haftbefehle erlassen hat, darunter befinden sich auch der Repräsentant und die Vorsitzende von COMUNDICH. Betroffen sind vor allem Personen mit einer besonderen politischen oder gesellschaftlichen Stellung in der Gemeinschaft. Mitglieder von COMUNDICH sprechen von einer “politischen Willkür, um die Comunidad zu schwächen und den Mord an den drei Mitgliedern zu verschleiern”. Viele von ihnen, darunter auch die drei Gefangenen, bestreiten, während der Tat in Corozal Arriba gewesen zu sein. Gegen Melvin Álvarez García lag kein Haftbefehl vor und Ignacio Sacarias Vazquez wurde während der Protokollaufnahme bei der PNC wegen einer ihm gestohlenen Wasserpumpe festgenommen. In Gesprächen mit Angehörigen der Insassen konnte ACOGUATE in Erfahrung bringen, dass die Polizei regelmässig in Corozal Arriba patrouilliert und unter den AnwohnerInnen ein Klima der Angst verbreitet. Der soziale Zusammenhalt in der Comunidad ist durch die Festnahmen der Führungspersonen und die Haftbefehle empfindlich gestört worden. Die Familien der Insassen haben durch den Einkommensausfall keine Möglichkeit mehr, ihren Lebensunterhalt zu decken, und sind auf Hilfe aus der Comunidad angewiesen.
Währenddessen dringt die Anklage der Angehörigen der drei ermordeten Bewohner von Corozal Arriba nicht bis zur Staatsanwaltschaft durch, seit drei Jahren wird in dieser Angelegenheit nicht ermittelt.
Schon während des Rückerstattungsprozesses, in welchem José Mendez und Melvin Álvarez Schlüsselfiguren waren, waren die BewohnerInnen von Corozal Arriba Einschüchterungen und Verfolgung ausgesetzt. Der letzte Fall einer Bedrohung datiert auf den Oktober 2016, als eine Gruppe bewaffneter Männer in eine Sitzung des Bürgermeisteramts der Ch’orti’ zur Beratung über die Landverteilung reinplatzte und die BewohnerInnen davor warnte, die Ländereien der Grossgrundbesitzerin zu betreten – jene Ländereien, die 2013 den BewohnerInnen von Corozal Arriba zugesprochen worden waren.
Die freiwilligen Menschenrechtsbegleitenden von ACOGUATE besuchen die Häftlinge regelmässig im Gefängnis und arbeiten an der Verbreitung von Informationen über die Kriminalisierung der Ch’orti’ in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Organisationen und Behörden.
Manuel Respondek, Guatemala Ciudad, im Juli 2017
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