Honduras. Reise Berlin – Tegucigalpa und erste Tage als Menschenrechtsbegleiter von Peace Watch Switzerland (PWS)

Von Berlin aus flog ich am Nachmittag des 16. Februar los. In Amsterdam musste ich umsteigen; von dort aus ging es nach Atlanta. Ich war im halbherzigen Winter gestartet, bei bedecktem Wetter. Auf dem langen Flug ging die Abenddämmerung lange nicht zuende, weil wir westwärts uns bewegten. Über Stunden konnte ich aus dem Fenster die Landschaft betrachten, während die Maschine uns über das Meer, über Island, über einen Teil von Grönland trug. Ich sah die Fiorde und dann Nordamerika. In Atlanta befand ich mich wieder im halbherzigen Winter. Hier musste ich die ganze Nacht über warten. 12 Stunden später setzte ich die Reise fort. Das Flugzeug startete in nebenverhüllter Landschaft. Noch einige wenige Stunden vergingen über dem Golf von Mexiko, und ich sah Land unter uns; bald landeten wir in einer Stadt, die zwischen lauter Hügeln liegt, Tegucigalpa. Wie würde es werden, so lange Zeit in diesem kleinen Land, in dem so viel Gewalt passierte?

Gleich ab dem zweiten Tag meines Aufenthaltes erhielt ich von Peace Watch Switzerland (PWS) eine Einführung zur Arbeit als Menschenrechtsbegleiter (vor Ort (die Red.)), zur Geschichte und Situation von Honduras. Und schon in der ersten Woche begann ich mit der Begleitarbeit, zunächst innerhalb der Stadt. So begleitete ich zusammen mit Teamkollegen die Versammlung mit Menschen aus Guapinol (ländliche Gemeinschaft), die sich gegen eine Bergbaufirma wehren, welche auf ihrem Land zu investieren begannen, ohne sie zu fragen. Da die Leute von Guapinol Widerstand leisteten, werden sie nun von der Polizei kriminalisiert. Es waren VertreterInnen von mehreren Menschenrechtsorganisationen mit anwesend. Am nächsten Tag saß ich bei einer gerichtlichen Zeugenaussage mit dabei, wo eine Person aus Zacate Grande (ländliche Gemeinschaft am Golf von Fonseca) davon berichtete, wie vor wenigen Monaten in einer Gruppe von Leuten aus der Region nach einer Versammlung von Polizisten tätlich angegriffen worden war. -Auch ihr sozialer Protest gegen die Vertreibung von ihrem Land wird kriminalisiert. Solche Prozesse der betroffenen Bevölkerung gegen investierende Unternehmen extraktiver Industrien oder gegen eindringende Privateigentümer werden in der Regel gar nicht mit dem staatlichen Rechtssystem beantwortet; manchmal werden die Klagen nicht einmal entgegengenommen, obwohl das widergesetzlich ist. Wenn es aber dagegen darum geht, gegen Widerstand leistende Bauern und Bäuerinnen oder die indigene Bevölkerung auf dem Land vorzugehen, dann gibt es “Gerechtigkeit”. Einen Tag später wiederum befand ich mich in einem Gerichtsprozess, der umkämpft war. Die Präsidentin der staatlichen Gesellschaft für erneuerbare Energien (PROGELSA), war für rassistische Äußerungen in den Medien verklagt worden. Sie hatte u.a. gesagt hatte, dass die Menschen der betreffenden indigene Gemeinschaft nichts zu essen hätten, deshalb nicht für sich denken könnten und sich manipulieren liessen. PWS begleitet die betreffende Gemeinschaft und war darum eingeladen worden.

Ich weiß nicht, ob ich die Problematik in so kurzen Zeilen verständlich machen kann. Erneuerbare Energie klingt in unseren Ohren zwar gut. Aber hier werden Menschen vertrieben bzw. deren Land usurpiert, um ein Wasserkraftwerk zu bauen, oder es werden Wälder gefällt, um auf großen Flächen, Solaranlagen anzubringen. Im letzteren Falle vertrocknet das Land, und die Menschen, die nur das Wasser aus dem Bach oder von Bohrbrunnen zum Trinken haben, gehen leer aus. Die Gerechtigkeit funktioniert wie im Alten Testament: für die Ärmsten gibt es kein Recht.

Während der Gerichtsverhandlung gegen die Präsidentin der PROGELSA protestierten Personen einer indigenen Organisation (COPINH); einige wurden festgenommen und kurz darauf wieder freigelassen, weil man ihnen nichts nachweisen konnte. Innerhalb der Gerichtsverhandlung durften die Zeugen der Probleme auf dem Land, die extra angereist waren, überhaupt nicht sprechen, obwohl die Anwältin sich für deren Stimme einsetzte. An ihrer Stelle sprachen andere Zeugen, die von der Verteidigung der Angeklagten ausgesucht worden waren. An dem Tag, an dem ich dabei war, blieb der Gerichtsprozess ohne Ergebnis, da er noch fortgesetzt werden muss; aber es sieht so aus, dass die Lobby der investierenden Unternehmen genug Geld hat, um ihre Interessen durchzusetzen.

Besser als Kriminalisierung sozaler Proteste, d.h. die Verfolgung sowohl kreativer sozialer AktivistInnen, als auch der Opfer sozialen Unrechts, was ja eine vollkommene Verkehrung der Gerechtigkeit ist, wäre doch eine Ende der Straflosigkeit, wie sie weithin herrscht. Aber noch besser könnte, scheint mir, eine gemeinsame Lösung sein, wie sie bei manchen Streitlösungspraktiken indigener Völker in Mexiko üblich ist, wo sich die verschiedenen Gruppen zusammensetzen und eine Form aushandeln, mit dem Ziel, erstens den Schaden wieder gutzumachen, und zweitens mit dem tieferliegenden Ziel, sich zu versöhnen.

Am selben Tag wurde im Facebook eine Medienkampagne gegen PWS und zwei weitere Menschenrechtsorganisationen (PBI, Protección Internacional) gestartet: diese würden Hass-kampagnen gegen die investierenden Unternehmen finanzieren; damit würden sie verhindern, dass Entwicklung in die verarmten Gebiete und billiger Strom nach Honduras kommt, damit wiederum würden die Migrationskarawanen aus dem Lande zunehmen.

Solche Medienkampagnen sind nicht neu. Aber es sieht politisch schwierig aus. PWS ist eine kleine Organisation für internationale Menschenrechtsbeobachtung und -begleitung und finanziert nichts außer die eigene Anwesenheit und Begleitarbeit. PWS arbeitet nur mit gewaltfreien Menschen-rechtsverteidigerInnen und Basisorganisationen zusammen, ist unparteilich; PWS stärkt durch internationale Präsenz aber jenen den Rücken, deren Rechte systematisch missachtet werden. Aber schon die bloße Anwesenheit von PWS ist für manche Akteure irritierend.

Von Daniel Stosiek, Honduras, Ende Februar 2020

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