In der zweiten Woche nach meiner Ankunft im Projekt Acompañamiento Internacional en Honduas (ACO-H) von Peace Watch Switzerland (PWS) war ich bei Veranstaltungen dabei, an der Personen verschiedener sozialer Organisationen für die Rechte der widerständischen Bauern in Guapinol kämpften, die sich gegen Bergbau (der ihr Wasser vergiftet) wenden und kriminalisiert werden. Sie kämpfen für das Wasser und für ihr Leben. Einmal redete ein Professor der Soziologie aus Kanada, und seine englischen Worte wurden ins Spanische übersetzt. Er sagte aber nichts Neues, sondern nur das, was alle schon wussten.
Einmal begleiteten wir zu zweit eine Gruppe von AktivistInnen aus dem Süden von Honduras auf ihrem Rückweg von Tegucigalpa nach Choluteca, weil die eine Aktivistin womöglich bei Polizeikontrollen hätte in Gefahr kommen könnte. Wir saßen wirklich nur im Auto, stundenlang, auf der Hin- und Rückfahrt. Es war noch keine wirkliche Begleitung in den Gemeinden, die ich erst noch kennenlernen werde. Aber ich sah zum erstenmal die Landschaft von Honduras, ein Gebiet voller Berge. Irgenwo hier hatte Berta Cáceres gelebt und für das Leben der Flüsse, Wälder und Berge gekämpft, und war von Auftragsmördern, die mit dem Unternehmen DESA zusammenhingen, 2016 ermordet worden. Und weiter setzen sich viele Menschen für das Leben der Natur und der Menschen im Zusammenleben mit ihr ein.
An der Kasse in großen Kaufhallen fällt mir auf, wie die Kassiererinnen (überwiegend Frauen) die Einkaufenden nicht nur mit Plastetüten (mit denen später die Weltmeere gedüngt werden) überhäufen, um die Produkte einzupacken, sondern auch noch selber sklavisch das Gekaufte in die Tüten einordnen, statt das den Kaufenden zu überlassen. Diesen Brauch kenne ich auch aus anderen Ländern Lateinamerikas. Was ich aber nur aus Honduras kenne, ist, dass die Leute im Auto sich nicht anschnallen. In Colectivos (taxiähnlicher, aber an Routen gebundener und sehr billiger öffentlicher Verkehr in der Stadt) verwendet höchstens der Fahrer (hier sah ich bisher nur Männer), und auch der nicht immer, den Sicherheitsgurt. Etwas anderes Seltsames, das mir in Tegucigalpa auffiel, war, das ich auf einer großen Straße Bauwerke sah, die wie Stationen eines Troleybusses aussahen, die aber offensichtlich nicht verwendet werden, und wo es auch keine Busse gibt. Die Erklärung ist so einfach wie traurig. Vor ein paar Jahren wurde geplant, ein bestimmtes System von Stadtbussen zu bauen. Dafür wurde eine Straße viel breiter gebaut, um einen Streifen für die Busse zu haben, und man fällte sehr viele Bäume in der Stadt. Auch die Busstationen wurden errichtet. Aber dann klaute jemand in höchsten Regierungskreisen das weitere bereitgestellte Geld, und es war nicht mehr möglich, das öffentliche Verkehrssystem einzurichten. Seitdem gibt es die Bushaltestellen ohne Busse.
Zwei Tage waren wir, zwei Menschenrechtsbegleiter von PWS, in Dörfern im südlichen Honduras, in der Nähe der kleineren Stadt Choluteca. Hier haben Energiefirmen ganz in der Nähe der Dörfer große Flächen mit Sonnenkollektoren bedeckt. Das Problem ist, dass sie dafür innerhalb eines schon sehr trockenen Gebietes, das von lockerer Bewaldung gekennzeichnet ist, Bäume fällten. Als Folge, auch der Kollektoren, so wird mir gesagt, hat die Hitze insgesamt zugenommen, die Gegend ist trockener geworden, der Grundwasserspiegel sank, die BewohnerInnen holen das Wasser aus Brunnen, aber jetzt entsprechend tiefer und mit Lehm vermischt.
Wir begleiteten zwei Vertreter der Caritas, welche die Leute aus den Dörfern dabei unterstützen, vom Unternehmen die ihnen gesetzlich zustehenden Kompensationsleistungen einzufordern. Mit den beiden Caritas-Leuten fuhren wir zu zwei Versammlungen, wo ein Vertreter des Unternehmens den gewählten Personen der Gemeinden gegenüber darstellen sollte, wieviel das Unternehmen für welche soziale Projekte in den letzten Jahren ausgegeben hat. Letztlich blieben die Leute der Dörfer unzufrieden und waren nicht überzeugt. Das Interesse des Unternehmens ist es wie immer, die Arbeit der Natur möglichst effizient zu nutzen und möglichst wenig dafür auszugeben; aber eigentlich müsste jede von Menschen ausgehende Wirtschaft den Menschen und der Natur soviel zurückgeben, dass deren Reproduktion wiederhergestellt würde.
Es war wirklich sehr heiß, viel wärmer als im höhergelegenen Tegucigalpa. Ein Vertreter von Caritas erzählt, dass ein Fluss ohne Wasser in Choluteca, über den wir gerade fuhren, seit ein paar Jahren immer zwischen Februar und April ausgetrocknet sei, und dass dies begonnen habe, als in etwas höher gelegenen Gebieten Monokulturen mit Melonen und Zuckerrohr errichtet wurden, die sehr viel Wasser verbrauchen.
Am Sonntag fuhren wir mit Freunden, auch einer Biologin, in ein Berggebiet bei Tegucigalpa, “La Tigra”, um dort zu wandern. Das Gebiet ist dicht bewaldet, wir kamen an hohen Bäumen mit sehr dicken Stämmen vorüber. Ein solcher Baum ist mit vielen anderen Lebewesen bevölkern, mehreren Parasiten wie Morelias, herunterhängenden Kakteen und Farnen. Außerdem Moosen und Kletterpflanzen. Aus dichtem Laub heraus ist der “jilguero”, ein flötenartig singender Vogel, zu hören. Und wir sahen ein kleines Säugetier, “Guatusa”.
Am 9 März. fand anlässlich des internationalen Frauentages des Vortages in Tegucigalpa eine große Demonstration mit Umzug statt. Die Frauen unseres Teams nahmen einfach als Personen daran teil, die Männer dagegen in Begleitfunktion mit der grünen Weste von PWS. Es waren viele Frauen, wenige Männer dabei. Das Ganze war sehr bewegt, lebendig, phantasievoll, farbenreich. Es hatte aus meiner Sicht “karnevaleske” Züge, wenn ich an den Autor Michail Bachtin denke, welcher karnevalartige Bräuche als utopische oder revolutionäre Bräuche zeitweiligen Außerkraftsetzens hierarchischer festgefahrener Muster beschreibt. Wir waren in begleitender Funktion dabei, weil immer die Gefahr polizeilicher Gewalt besteht, und wir dann “politisch neutral”, aber auf der Seite der innerhalb möglicher Gewalt Schwächeren oder möglicher Opfer stehen, um eben der Gewalt durch die Präsenz vorzubeugen. Deshalb fühlte ich mich in manchen Momenten wie vor wenigen Monaten mit Schlittschuhen auf einem zugefrorenen See: hoffentlich bricht es nicht ein. Während des Umzuges malten viele Frauen Grafiti an Wände, klebten Plakate an, malten Spuren von Füßen und Händen auf die Straße. Auch auf der Wand, hinter der sich die Katedrale des Zentrums befand, sah ich, wie jemand Grafiti anschrieb. Auf einem stand “Saquen sus rosarios de nuestros ovarios”; was sich im Spanischen reimt, bedeutet, “nehmt eure Rosenkränze von unseren Eierstöcken”. Eine Station wurde vor dem Regierungsgebäude gemacht, wo auch Polizei- und versteckt Militärkräfte im Hintergrund standen. Dann ging es vorüber an einem Lastwagen, der für Tränengaseinsätze präpariert war, zum Gesundheitsministerium. Unter den vielen anwesenden Gruppen war eine, die sich für die Legalisierung der “Pille danach” einsetzt, welche seit dem Regierungsputsch in Honduras 2009 verboten ist. Je ärmer die Menschen sind, desto häufiger werden Mädchen unter 18 Jahren schwanger. Das ist ein viel zu großes Thema, um hier jetzt den Ursachen nachzugehen. Jedenfalls tanzten Frauen, teilweise in verschiedenen Farben verkleidet, und redeten vor den Regierungsstellen. Solch ein Protest ist sicher nicht nur ein augenblicklicher Ausdruck, sondern Teil dessen, was klassisch Klassenkampf hieß, Teil der Kämpfe angesichts der patriarchalen Gesellschaft und der Gewalt gegen Frauen, die seit 2009 in Honduras zunahm, Teil der weltweiten feministischen Bewegung um gleiche Rechte, Teil jahrtausendelanger Auseinandersetzungen zwischen patriarchaler Gesellschaft, welche die Reproduktion des humanen wie natürlichen Lebens ausbeutet und zugleich abwertet, und dem Leben “von unten”. Den Spruch an der Kirchenmauer verstehe ich als Protest aus der Perspektive humanen und natürlichen Lebens gegen die Kolonisierung des Sinnes und des guten Lebens durch ein patriarchales und hierarchisches religiöses System. Innerhalb solcher Kämpfe um Bedeutungen und Geltungen und der Utopie einer anderen Gesellschaft habe ich hier einen höchst bewegenden und kreativen Ausdruck vorgefunden. Sie müssen nur verstanden werden.
Von Daniel Stosiek, Menschenrechtsbegleiter von Peace Watch Switzerland in Honduras
Tegucigalpa, 10. März 2020