“Kunst ist die Kraft, eine realität zu transformieren”

Im Gespräch mit einem honduranischen Künstler

Artikel und Übersetzung ins Deutsche von Céline Weber, Menschenrechtsbegleiterin von Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras.

Tegucigalpa, Honduras, im Mai 2022

Honduranische Kunstdarbietungen in Form von Theater, Musik, Tanz und Farbe durfte ich in meinem ersten Monat in Honduras vielzählig erleben und geniessen. Nebst meinen Einsätzen als Menschenrechtsbegleiterin und den Gesprächen mit Honduraner٭innen, sind Künstler٭innen und deren Werke das, was mich bis jetzt am meisten beeindruckt haben.

1 Mayo 2022
Graffiti von Maeztro Urbano; erstellt am Tag der Arbeit (1.Mai 2022).

Die honduranische Kunst hat mich emotional berührt, da darin oft die vorherrschende Korruption, Gewalt; insbesondere häusliche Gewalt, Genderungleichheit und Femizide zum Ausdruck gebracht werden. Dennoch schwingen darin durchaus fröhliche Töne und Farben mit. Ich fragte mich, wie die honduranische Kunst aus Sichtweise eines oder einer honduranischen Künstler٭in wahrgenommen wird und mit welchen Schwierigkeiten honduranische Künstler٭innen umzugehen haben. Denn eins wurde mir schnell klar: Hier im Kunstbereich tätig zu sein und seine Meinungen frei zu äussern ist kein einfaches und sicheres Unterfangen.

So traf ich mich mit Maeztro Urbano für ein stündiges Gespräch. Er ist ein honduranischer Künstler, der mit seinem Kollektiv seit mehr als 15 Jahren in Tegucigalpa tätig ist und mir mehr von seiner kreativen Leidenschaft berichtete. Maeztro Urbano versucht einerseits aus Schutz für seine Liebsten und sich selbst anonym zu bleiben: Kein einfaches Unterfangen in einer «kleinen» Stadt wie Tegucigalpa. Er selbst hat Kunst und Werbewesen studiert, bevor er auf die Strassenkunst kam. Das faszinierende an der Strassenkunst sei die Möglichkeit, seine Gedanken, Wünsche und Kritik öffentlich zu äussern. Maeztro Urbano verändert gelebte Realitäten in Kunst und sieht darin seine grosse Inspiration in Banksy, einem berühmten britischen Strassenkünstler. Bevor das Graffiti-Sprayen von der alten Regierung verboten wurde und sogar bis zu sechs Jahre Gefängnis drohen können, ging er noch öfters auf die Strasse. Dort malt er für seine Überzeugungen: Geschlechtergleichheit und Menschenrechte. Heute gibt er vor allem Workshops für Jugendliche in marginalen Stadtvierteln in Honduras. An einigen Tagen der 3-monatigen Workshops, welche unter anderem Englisch- und Computerkurse beinhalten, bereichert er die Jugendlichen mit Farbe und Kreativität. Für seine Arbeit hat er bereits internationale Aufmerksamkeit bekommen und für grössere und kleinere Medien Interviews gegeben. Auf Youtube beispielsweise lässt sich eine Dokumentation mit dem Titel «Street Art to save a Generation» finden.

Diese mediale Aufmerksamkeit erklärt er sich folgendermassen: Er selber habe im Ausland schon oft erklären müssen wo Honduras liege, dass die Menschen dort keine «Kannibalen» seien und Honduras auch viele schöne Seiten zu bieten hat. Weder die Geschichte von Honduras noch aktuelle Geschehnisse bekommen genügend internationale Aufmerksamkeit. In Europa beispielsweise werde die Geschichte Lateinamerikas in den Geschichtslektionen beinahe verschwiegen und auch für die Honduraner٭innen sei es wichtig, ihre Geschichte – unter anderem des Kolonialismus- aufzuarbeiten und Bewusstsein dafür zu schaffen. Teils fehle es dem Land an Kenntnissen für seine kulturellen Wurzeln, so habe Maeztro Urbano beispielsweise erst letzthin mehr über die Sprache der Maya erfahren. Auch solche Erkenntnisse versucht er in seine Bilder zu integrieren. Und wenn man nach dem Staat googelt, so spucke das Internet nur schlechte Dinge über Honduras aus. Und genau deshalb wecke seine Kunst internationale Aufmerksamkeit. Sie gibt eine andere Perspektive auf die vielen traurigen Geschehnisse im Land und zeigt auf, dass in Honduras viel schönes Potenzial steckt. Zudem male er öfters Bilder, die auf der ganzen Welt «lesbar» seien und Themen beinhalten, die in vielen Ländern dieser Welt über Aktualität ausweisen.

Im Interview wurde deutlich, dass Menschenrechtsverletzungen und viele der heutigen Probleme in Honduras – unter anderem diejenigen von Jugendlichen in marginalisierten Vierteln – nicht ohne geschichtlichen Kontext zu verstehen sind. Guatemala, El Salvador und Honduras waren diejenigen Länder, die in den 90er bis 2000er Jahren am meisten unter Bandenaktivitäten gelitten haben. Maeztro Urbano wuchs in Tegucigalpa auf und hat miterlebt, wie sich die verschiedenen Banden – beispielsweise die Mara 18, die in den USA entstanden sind – in Lateinamerika etabliert haben. Gerade in diesen drei Ländern habe es an Mechanismen und Infrastruktur gefehlt, sich gegen die Etablierung der unterschiedlichen Maras zu wehren. Aber die Banden waren nur ein sichtbarer Teil des institutionalisierten Erpressungsproblems. So wurden die Regierungen und die Polizei von der Kriminalität durchdrungen und einige von ihnen zu Bandenkomplizen.

“Ich wuchs in dieser Zeitspanne auf und mein Kunststudium war die Möglichkeit für mich, von den Maras und diesem Leben wegzukommen, denn zu dieser Zeit wussten wir nicht, was die Maras sind, ausser dass sie nichts Gutes mit sich brachten (Maeztro Urbano, April 2022).”

Er war zwar selbst nie ein Bandenmitglied, erlebte sie jedoch stets hautnahe. Dies gibt ihm heute die nötigen Kenntnisse für seine Arbeit mit den Jugendlichen. Denn viele dieser jungen Menschen seien auf dem Weg dazu, Bandenmitglieder zu werden, wenn sie es nicht bereits sind. Maeztro Urbano weiss, wie das Leben in den Banden funktioniert. Er hatte damals Freunde die zu Bandenmitgliedern wurden, oder als solche verhaftet oder gestorben sind. Er weiss, wie er in die Stadtviertel der Maras reinkommt und die Workshops durchführen kann. Doch ein Missachten einer Regel der Maras – wie beispielsweise einem Foto- oder Filmverbot – könnte gravierende Folge haben. Beispielsweise wurde er einmal von einem 13-Jährigen mit der Pistole auf der Brust bedroht: Maeztro Urbano war sich nicht bewusst, dass er Schuhe trug, deren Muster ein Zeichen einer rivalisierenden Bande darstellte. Schlussendlich konnte er dem 13-Jährigen erklären, dass er die Bewilligung habe, dort zu malen. Der junge Mann erzählt ihm in einem anschliessenden Gespräch, dass er ihn ohne diese Bewilligung umgebracht hätte und dass er bereits vier Menschen getötet habe. Das Gespräch mit dem Jugendlichen bringt Maeztro Urbano bis heute zum Nachdenken und er stellt sich seither folgende Frage:

«Du bist 13-jährig, du hast drei Geschwister, du kennst deinen Vater nicht, deine Mutter ist aufgrund häuslicher Gewalt des Vaters sozusagen ans Bett gelähmt, und du bist die einzige Person die Essen gegen den Hunger nach Hause bringen kann. Jemand gibt dir eine Pistole und ein Foto und sagt «töte diese Person dann gebe ich dir Geld». Was würdest du tun? (Maeztro Urbano, April 2022)»

Um die Probleme dieser jungen Menschen zu lösen benötige es einen Systemwandel – insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Trotzdem hat er bereits das Feedback von ehemaligen Workshop-Teilnehmern erhalten, mit der Kunst ihr Leben verändert zu haben. Das persönliche Risiko, das er für seine kreative Leidenschaft eingeht, begründet er folgendermassen:

«Ich habe immer gesagt, dass dir in dieser gewaltvollen und unsicheren Stadt aus irgendeinem Grund etwas passieren könnte, so dass es besser ist, wenn dir etwas zustösst, weil dir etwas gefällt, anstelle von etwas Schlimmerem (Maeztro Urbano, April 2022).»

Die Workshops seien nur dank internationalen Kooperationen und Spenden durchzuführen, seine anderen Kunstprojekte müsse er mit dem Lohn des «Hauptberufs» finanzieren; und dies nach 15 Jahren Tätigkeit als Künstler. Er habe in seiner Karriere mit verschiedenen Hürden zu kämpfen gehabt: Unter anderem wurden ihm mehrmals seine sozialen Medien gesperrt, seine Anonymität wurde von der Polizei aufgedeckt (ist nun dem Staat also bekannt) und er habe Drohungen erhalten.

Allgemein kenne er nur wenige honduranische Künstler٭innen, die ausschliesslich von der Kunst leben. Und diejenigen die es tun, müssten schauen, wie sie ihre monatliche Miete bezahlen können. Die meisten Künstler٭innen bauen sich gezielt an den Wochenenden oder an Feierabenden Zeit dafür ein. Am einfachsten sei es wahrscheinlich noch für Musiker٭innen, die des Öfteren kleine Konzerte geben können und somit ihr Geld verdienen. Generell ist es schwierig hier Kunst zu verkaufen, da es sich die meisten Honduraner٭innen nicht leisten können. Auch die Coronakrise habe natürlich niemanden in der Kunstszene in die Karten gespielt. Grundsätzlich würde er sagen, dass die wenigen honduranischen Künstler٭innen die es gibt, ihre Kunst aus purer Leidenschaft, Liebe und Überzeugung ausüben. Denn «Kunst ist die Kraft, eine Realität zu transformieren (Maeztro Urbano, April 2022)».

Ich danke Maeztro Urbano für seine Zeit, sein Vertrauen und den spannenden Einblick in sein Leben als honduranischer Künstler.

Arbol Caído
In Tegucigalpa wurde am Tag der Ermordung der Klimaaktivistin Berta Cáceres ein Baum gefällt. Als Zeichen dafür, dass das Gedankengut von Berta Cáceres weiterlebt, hat Maeztro Urbano den gefällten Baum – mit dem Gesicht der ermordeten Klimaaktivistin im Hintergrund des Baumstrumpfes – nachgemalt.
Armar Para Gobernar
Maeztro Urbano beim Erstellen eines seiner letzteren Werke «armar para gobernar». Dies bedeutet so viel wie «zum Regieren ausrüsten».
“Vom Staat und dem Politik machen» von Luz de Sozirée Baca. Bildausstellung im «Centro cultural de España» in Tegucigalpa.

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