Artikel von Pedro Antonio Acosta Martínez, nationaler Freiwilliger bei Peace Watch Switzerland (PWS)
Tegucigalpa, Honduras
Anfang März dieses Jahres hielt Roberto Contreras, Bürgermeister von San Pedro Sula und einer der wichtigsten Geschäftsleute der Stadt, öffentlich eine Hassrede gegen die LGBTIQ+ Community. Der Bürgermeister sagte: “Ich würde lieber hunderttausendmal die Garifuna-Flagge tragen als eine Flagge der sexuellen Vielfalt. Ich fühle mich wohl unter meinen schönen schwarzen “Power-Chicken” Leuten”, womit er seine rassistische Einstellung zeigte und einen Kampf, Anstrengungen vieler Jahre sowie die LGBTQI+ Flagge verunglimpfte. Damit löste er eine Welle der Diskriminierung aus, die zusätzlich dazu beitrug, einen ohnehin bereits bedrängten und mit Schwierigkeiten kämpfenden Teil der Bevölkerung weiter an den Rand zu drängen.
Trotzdem sprachen sich viele Vertreter*innen der sexuellen Vielfalt mutig gegen seine Worte aus und forderten einen säkularen Staat, der allen Menschen gleiche Rechte garantiert. Leider wurden sie nur mit Zynismus und Nachlässigkeit eines Bürgermeisters konfrontiert, der seine privilegierte Stellung wiederholt für Hassreden und Diskriminierung nutzte.
Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Oft benutzen Personen in hohen Ämtern ihre Position, sexuell Andersdenkende zu diskriminieren. Erst vor ein paar Jahren brauchte der damalige Präsident von Honduras, Juan Orlando Hernández (der jetzt wegen Drogenhandels vor Gericht steht), den nationalen Unabhängigkeitstag, um gegen die LGBTIQ+ Gemeinschaft, Frauen -und Feminist*innen Organisationen, Territorial -und Umweltaktivist*innen zu wettern und sie alle als “Feinde der Unabhängigkeit und der nationalen Souveränität” zu bezeichnen.
Kürzlich unterbrachen Mitglieder des Nationalkongresses mit Spott und hasserfüllten Kommentaren die Teilnahme von Víctor Grajeda, dem Abgeordneten des Departements Corté, welcher sich offen als homosexuell bekennt.
Diese hasserfüllten Äusserungen, zu welchen sich auch Behörden ohne Skrupel hinreissen lassen, beruhen auf Unwissenheit, religiösem Fundamentalismus und Vorurteilen. Sie sind ein Beispiel für die strukturelle und systematische Gewalt, mit der sich Personen der LGBTIQ+ Gemeinschaft im Land konfrontiert finden. Allzuoft bleibt dies unbemerkt, da die Menschen Angst haben, Missstände zu melden. Oder noch schlimmer: weil Gewalt selbst als natürlich und unvermeidlich wahrgenommen wird.
Zum Beispiel trank ich 2017, während meines Studiums, meinen Kaffee auf der Wiese meiner Universität. Als ich mit meinem damals besten Freund und seinem Freund, beide der Gemeinschaft angehörig, unterwegs war, kamen drei Wachleute auf uns zu und forderten uns auf, die Universität zu verlassen. Wir waren ordnungsgemäss immatrikulierte Studenten und zeigten unsere Ausweise, aber das hielt sie nicht davon ab. Sie zerrten uns zum Ausgang, und zwar nicht einmal zum Hauptausgang, sondern zum Hinterausgang, der an einer leeren unbefestigten Strasse mit sehr wenig Verkehr entlangführt. Ich war empört, ich protestierte und versuchte, mich zu wehren, aber sie waren stärker, und ich hatte Angst. Die Wachen beschimpften uns und machten homophobe Bemerkungen, sagten, es sei unsere Schuld. Die Universität sei nicht dafür da, dass man sich in der Öffentlichkeit Zuneigung zeige, wir hätten uns das selbst zuzuschreiben. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so machtlos gefühlt. Und es blieb dabei, ich habe es nie gemeldet. Zu wem sollte ich denn gehen? Zur Polizei? Dort hätte mich nur noch mehr Spott, Demütigung oder gar Aggressionen erwartet. Aber ich habe Jahre gebraucht, um zu lernen, dass es nicht unsere Schuld war, dass solche systemische Gewalt ein soziales Konstrukt ist, welches an die Öffentlichkeit gebracht werden muss.
Auch die aktuellen Daten sind beunruhigend. Laut dem Bericht des Büros des UNO_Hochkommissariats für Menschenrechte in Honduras (OACNUDH) gab es im vergangenen Jahr 28 Morde, die mit sexueller Orientierung, unterschiedlichen Geschlechtsidentität oder dem Ausdruck der Opfer Zusammenhang standen: vier Lesben, 20 Schwule und vier Transgender Personen, 30 % mehr als im Jahr 2021.[1] In all diesen Fällen wird nur in fünf Fällen strafrechtlich ermittelt, was die unzureichende Kapazität der staatlichen Institutionen widerspiegelt, gegen die von der LGBTIQ+ Gemeinschaft erlittene Gewalt vorzugehen.
Die strukturelle Gewalt gegen die LGBTIQ+ Gemeinschaft steht auch in direktem Zusammenhang mit Zwangsvertreibungen. Die Menschenrechtsvereinigung von Cozumel schätzt, dass in den letzten acht Jahren mindestens 250 LGBTIQ+ Personen humanitäre Zuflucht im Ausland erhielten und viele weitere erfolglose Anträge gestellt haben. Am 9. Mai 2018 reiste Roxanna Hernández, eine 33-jährige Transfrau, mit der Karawane mittelamerikanischer Migranten in die Vereinigten Staaten ein. Am 13. desselben Monats wurde sie von Einwanderungsbeamten festgenommen und vier Tage später “mit Lungenentzündung, Dehydrierung und Komplikationen im Zusammenhang mit HIV” ins Krankenhaus gebracht. In der darauffolgenden Woche starb sie an einem Herzstillstand. Sie war eine von 25 Transgender-Frauen, die mit der Karawane im Mai reisten. Ein massiver Exodus, wenn man die Gesamtzahl dieser Gruppe berücksichtigt, die auf nationaler Ebene auf 2.500 bis 5.000 Personen geschätzt wird.[2]
Mit der historischen Wahl von Xiomara Castro zur Präsidentin der Republik keimte erneut die Hoffnung auf, dass der honduranische Staat institutionelle Fortschritte beim Schutz und der Gewährleistung der Rechte einer, seit jeher vergessenen und vernachlässigten Bevölkerung, machen kann. Doch fast zwei Jahre nach ihrer Wahl bleibt noch viel zu tun.
Noch viel Arbeit und Engagement erforderlich sind. Trotz dieser Schwierigkeiten gibt es allerdings auch wunderbare Menschen, die ihr Leben für einen Kampf für Rechte verschrieben und die mutig genug sind, jungen Menschen wie mir und so vielen anderen in diesem Land Zuneigung und Orientierung zu geben. Das spricht mich besonders an, weil ich mein ganzes Leben lang zwei Ideen in mir gespürt habe, die manchmal konträr und gegensätzlich erscheinen können. Erstens: Akzeptanz. Akzeptanz des Lebens, wie es ist, der Welt als Ganzes und der Menschen, wie sie sind. Im Licht dieser Idee steht Ungerechtigkeit genauso hoch im Kurs wie Schönheit. Aber diese Akzeptanz darf nicht mit Selbstgefälligkeit verwechselt werden, denn der zweite Gedanke ist gleich kräftig oder sogar noch wichtiger: Dass man in seinem eigenen Leben diese Ungerechtigkeiten niemals als alltäglich akzeptieren soll, sondern sie mit aller Kraft bekämpfen muss. Dies beginnt jedoch bei jeder Person in ihrem eigenen Herzen und eigenen Leben.
So erinnere ich mich, wie ich im Alter von 19 Jahren zum ersten Mal an einer Diskussion über sexuelle Vielfalt teilnahm. Dort sass Abigail Galindo, eine Transfrau von fast 60 Jahren und eine der schönsten Frauen ist, die ich je gesehen habe. Ihr Kampf und ihr Leben (beides ein und dasselbe) inspirieren mich bis heute. Ich möchte Dylan Duarte erwähnen, einen Transmann und Arzt, der sich unermüdlich dafür einsetzt, die Stigmata zu beseitigen, mit denen die LGBTIQ+ Gemeinschaft konfrontiert ist, wenn sie ein Gesundheitszentrum aufsucht. Ich möchte auch Dany Barrientos erwähnen, der das Projekt “Honduras Cuir” leitet, eine Initiative zur Rettung des historischen Gedächtnisses von LGBTIQ+ in Honduras. Seine Arbeit, und die vieler anderer, inspiriert uns, weiter für das Honduras zu kämpfen, welches wir alle verdienen.
[1] OACNUDH (2023), Informe sobre la situación de los Derechos Humanos en Honduras, Oficina del Alto Comisionado por los Derechos Humanos, Honduras.
[2] PBI y MUNDUBAT (2023), La defensa de la diversidad sexual y los derechos humanos en Honduras, Edición Voces Defensoras, Honduras.
Fotolegende: Feministische Organisationen und LGBTIQ+-Organisationen an einer Kundgebung in Tegucigalpa. Quelle: Peace Watch Honduras, 2023