Ende November hat das Municipio San Carlos Alzatate eine Volksbefragung durch eine ‚Consulta de Vecinos’ durchgeführt. Die Gemeinde nimmt damit Stellung zur weiteren Vergabe von Schürfrechten. Ein Bericht über die Dynamik von regionalem Zusammenhalt, fehlendem Kaffee, Schlaglöchern und dem Wunsch einer Region nach Selbstbestimmung über Grund und Boden.
Wir treffen die Mitglieder der lokalen Bürgergesellschaft früh morgens auf einem verschlafenen Parkplatz am Stadtrand von Mataquescuintla. Peace Watch Switzerland / ACOGUATE begleitet die Consulta mit internationalen Beobachtenden und die Gemeinschaft hat sich über die Vermittlung eines Bekannten angeboten, uns in den etwas entlegenen Austragungsort der Consulta mitzunehmen. Die Gesellschaft hat aktiv in der Abstimmungsvorbereitung mitgearbeitet und hofft auf ein klares ‚No’ gegen neue Minenlizenzen. Jeder hat hier seine eigene Geschichte und Gründe, das gemeinsame Ziel über Selbstbestimmung des Bodens bleibt. Einige Mitglieder reisen aus abgelegenen Weilern zum Treffpunkt an, wir warten deshalb mit dem Erwachen des Tages ab, wie sich der Innenhof unseres Besammlungsorts langsam aber konstant mit interessierten Vecinos (‘AnwohnerInnen’) füllt. Ich möchte Kaffee. Gibt es erfahrungsgemäss selten in einem verhältnismässigen Umkreis. Auch ein paar Monate nach meiner Ankunft in Guatemala ist mir immer noch unklar, wie ein Land, das an jeder Ecke Kaffeeplantagen anbaut, beinahe gar kein Interesse am Konsum zeigt. Für mich immer wieder eine Herausforderung. Merklich geschwächt vom Koffeinmangel verteilen wir uns auf die bereitstehenden Pick-ups. Die aus Kies und Lehm gestampften Wege in die Gemeinden sind schwierig. Enge Kurven, ausgespülte Schlaglöcher und steile Abhänge verlangen Routenkenntnisse. Unser Fahrer, die Gelassenheit in Person, bringt uns unter der Begleitung von fröhlich-lautem Marimba-Sound zum ersten Wahllokal im Hauptort San Carlos.
Guatemala kennt verschiedene Arten von Consultas, die der ‚Vecinos ‘entspricht im weiteren Sinne einer durch Petition geforderten Abstimmung bei uns. Beantragt wird diese ebenfalls durch gesammelte Unterschriften aus dem Wahlkreis und das Resultat hat rechtlich verbindlichen Charakter, insofern mindestens 20% der registrierten WählerInnen ihre Stimme dazu abgeben.
Unsere erste Anlaufstelle ist ruhig. Zahlreiche freiwillige HelferInnen wuseln ebenfalls im provisorisch eingerichteten Wahllokal herum. Dass die Abstimmung die Region bewegt, ist uns bereits bei unserer offiziellen Anmeldung im Wahlbüro aufgefallen. Eine beachtliche Anzahl von freiwilligen Beobachtenden aus der Region ist gleichzeitig mit uns aufgetaucht, um sich ebenfalls zu registrieren. Es wird viel gelacht – die Stimmung ist gut. Der Abstimmungstag ist gleichzeitig auch ein sozialer Anlass. Unsere Beobachtungsrunde beginnt im Städtchen selbst. Da noch frühmorgens, tauchen die WählerInnen erst vereinzelt auf. Die Stimmzettel sind alle griffbereit, die Kreuze werden mit Bestimmtheit gesetzt. Wer den Weg ins Wahlbüro antritt, hat sich bereits entschieden. Und hier gibt es Kaffee. Wie in der Region üblich, deftig vorgesüsst, aber immerhin.

Abstimmungsplakat aus Las Flores
Wir fahren zum nächsten Ort auf der Liste. Insgesamt nehmen acht weitere Aldeas des Bezirks an der Abstimmung teil. Mit dem Pick-up holpern wir weiter durch malerische Hügel- und Dschungellandschaften, lauschige Kaffeeplantagen und pittoreske Pueblos mitten im Nirgendwo des Hochlands. Die einzigen Westler in farbigen Westen fallen auf, wenn auch nationale, externe Beobachtende üblich und ebenfalls mehrfach vertreten sind. Direkt angesprochen werden wir aber nur ein einziges Mal. Vor dem Eingangsbereich eines Wahllokals versammeln sich ein paar besorgte Anwohner um abzuklären, ob wir zu der involvierten Minengesellschaft gehören. Wir ahnen, dass die Erfahrung sie gelehrt hat, in dieser Hinsicht eine gewisse Skepsis walten zu lassen.
In einer Pause finden unsere Begleiter einen Comedor in einer der kleineren Siedlungen. Wir essen einen Turm von frischen Tortillas unter den Argusaugen der kleinen Kinder, die uns zu Beginn aus sicherer Distanz inspizieren. Als ich mitten in einen Dachbalken latsche, der nicht auf westliche Körpergrösse ausgerichtet ist, kugeln sich die Kleinen vor Lachen. Spätestens damit ist die Stimmung gelöst und es wird ausgiebig Fangen gespielt. Leider müssen wir danach in die nächsen Abstimmungslokale weiter, wenn wir auch gerne noch etwas länger bei diesen herzlichen Leuten bleiben würden.
In den letzten Ortschaften zeichnet sich bereits eine hohe Wahlbeteiligung ab – unsere Begleiter der Bürgergesellschaft reagieren erleichtert. Sie rechnen damit, dass die Mobilisierung der Bevölkerung zu Gunsten der MinengegnerInnen ausfällt. Die Bekanntgabe der Resultate warten wir zurück auf dem Gemeindeplatz des Hauptorts ab. Bis sämtliche Wahllokale ausgezählt sind, macht sich sowas wie Volksfeststimmung breit. Unter nicht ganz leiser Dance-Music wird ein Beamer eingerichtet, der die laufende Auszählung live ans Gemeindehaus projiziert. Die fortlaufend bekanntgegebenen Resultate zeichnen ein deutliches ‘No’ zu den Minenlizenzen ab. Im Publikum hellt sich die Stimmung weiter auf und die Menge beobachtet gespannt die Zahlen an der Gebäudewand. Das Endresultat spricht dann auch für sich: Mit 5’972 Gegenstimmen und nur 72 ‘Si’ wurden die zusätzlichen Minenlizenzen klar zurückgewiesen. Der ganze Hauptplatz feiert – man umarmt sich gegenseitig freudig. Die Vecinos haben entschieden.