Artikel von Mireia Izquierdo Prado, Koordinatorin des ACO-H-Begleitprogramms von PWS. Tegucigalpa, Honduras
Eine junge Frau aus La Esperanza wird auf einer Polizeistation ermordet, nachdem sie im Februar 2021 verhaftet worden war. Verhaftet wurde sie, weil sie angeblich gegen die von der Regierung verhängte Ausgangssperre „zur Verhinderung der Ausbreitung von Covid-19“ verstoßen hat.
So lautet der Text eine Liedes von Sara Hebe, einer meiner liebsten feministischen Sängerinnen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich als Menschenrechtsbegleiterin einen Fall wie diesen begleiten würde, bei dem die Polizei ein Mädchen in Esperanza verhaftet, sie dann tot in der Zelle aufgefunden wird und von der Polizei behauptet wird, sie hätte Selbstmord begangen. Unweigerlich hallte es in meinem Kopf wider: „Auf einer Polizeistation bringt sich niemand um!“ nein, Keyla hat keinen Selbstmord begangen, die Polizei hat sie getötet. Und sie töten uns; sie töten uns, weil wir Frauen sind.
Als Koordinatorin von Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras, einer internationalen Organisation für physische Begleitung, habe ich das Gerichtsverfahren zu diesem Frauenmord begleitet. Vom 22. bis 29. September fand die mündliche und öffentliche Verhandlung vor dem Strafgericht von Siguatepeque statt. Ich beobachtete eine patriarchalische und frauenfeindliche Justiz. Ein Gericht welches mit Geschlechterstereotypen die Beweise bewertet. Ein Gericht, dass den Fokus auf das Opfer legte und suggeriert, dass Keyla selber für ihren Tod verantwortlich war.
„Ist es möglich, dass sie in ihrem angetrunkenen Zustand, in der erdrückenden Situation bedingt durch die Pandemie und die Ausgangssperre, eine solch extreme Entscheidung treffen konnte?“
Die Antwort des forensischen Psychologen und des forensischen Psychiaters war eindeutig: Nein. Denn nein, Keyla hat nicht Selbstmord begangen. Keyla war eine junge Frau wie Tausende und Millionen andere, die ausgehen wollen, die trinken wollen, die tanzen wollen, die sich kleiden wollen, wie es ihnen gefällt. Aber nein, das können wir nicht, sie beschuldigen uns, sie zeigen auf uns, sie töten uns….
Der Femizid von Keyla ist ein deutliches Beispiel für die weit verbreitete Gewalt, die Frauen und Mädchen in Honduras erleiden. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Gewalt gegen Frauen des Zentrums für Frauenrechte (CDM) wurden bis zum 28. September dieses Jahres insgesamt 211 gewaltsame Todesfälle von Frauen registriert, von denen die überwiegende Mehrheit straffrei geblieben sind. Die Statistiken der Beobachtungsstelle zeigen, dass es zwischen 2019 und 2020 711 gewaltsame Todesfälle von Frauen gab, aber nur 205 Fälle in das Justizsystem gelangten, was einer Verfolgungsquote von 29 % entspricht.[1]
„Wie wir am eigenen Leib erfahren haben, ist die Justiz in unserem Land von schlechter Qualität. Es gibt zu viel Korruption im Justizsystem. Wir forderten Gerechtigkeit für Keyla und werden deshalb bedroht.“
Dies sind die Worte von Keylas Mutter, die ich am 29. September am Ende der mündlichen und öffentlichen Verhandlung interviewen konnte. Nachdem alle Beweise von der Staatsanwaltschaft, den Anwältinnen der Privatanklage und den Anwälten der Verteidigung vorgetragen und gehört wurden, ordnete das Gericht eine „Unterbrechung“ des Prozesses an, mit der Begründung, den Entscheid von zwei eingereichten Rekurse beim Obersten Gerichtshof abzuwarten. Darin wurde beantragt, dass das Verbrechen neu eingestuft wird, und zwar von einem einfachen Totschlag zu einem schweren Femizid. Die Entscheidung sei relevant, damit die Parteien ihre Schlussfolgerungen entsprechend formulieren könne.
Keylas Familie kann in diesem ineffizienten Justizsystem keine Gerechtigkeit finden. Keylas Mutter sagt:
„Dieser Prozess wirkt wie ein Zirkus. Er soll zeigen, dass man uns anhört aber hinter Jarol (dem bisher einzigen Polizisten, der des Femizids an Keyla angeklagt ist) stehen hochrangige Beamte, die immer noch die gleiche Arbeit verrichten. Sie arbeiten immer noch auf demselben Polizeiposten, auf dem der Femizid an meiner Tochter stattfand. Sie haben eine Kopie angefertigt, damit alle Polizeibeamten dasselbe aussagen, nämlich dass sie Selbstmord begangen hatte. Wir fordern von den Behörden eine Untersuchung der gesamten Befehlskette, auch wenn das Sicherheitssekretariat all diese Polizisten schützt. Wir erwarten eine Verurteilung.“
Obwohl der Oberste Gerichtshof noch nicht über die oben erwähnten Rekurse entschieden hat, wurden die Prozessparteien trotzdem schon am 17. Oktober zur Anhörung der endgültigen Schlussfolgerungen vor dem Gericht von Siguatepeque eingeladen. Wir begleiteten die Organisation COFADEH und die Familie von Keyla an diese Anhörung. Die Staatsanwaltschaft sowie auch die Privatanklage, betonten in ihren Schlussplädoyers, dass es sich um einen Femizid handelt. Der gewaltsame Mord sei aufgrund des Geschlechts ausgeübt worden. Die Staatsanwaltschaft wies darauf hin, dass dieser Femizid das Ergebnis einer „tief verwurzelten Kultur ist, in der Männer den Frauen überlegen sind und es eine männliche Vorherrschaft gibt. Dies zeigt sich deutlich im vorliegenden Fall. Harold wertet Figur der Frau ab, er sieht sie als unterwürfig und von geringerem sozialem Status.“ Die Staatsanwaltschaft und die Privatanklage sind sich auch einig, dass es sich um einen schweren Femizid handelt, da es eindeutig eine ungleiche Beziehung zwischen Keyla und Jarol gab. Sie wurde alleine in der Zelle festgehalten und war schutzlos, während er bewaffnet war und seine Autorität missbrauchte.
In ihren Schlussplädoyer forderte die Anwältin der Privatanklage das Gericht außerdem auf, die Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen gegen alle Polizeibeamten jener Nacht zu beauftragen. Diese hätten Jarol geholfen, den Tatort zu verändern und haben so die Aufdeckung des Verbrechens vereitelt. Die Pflicht der Beamten wäre gewesen „sie (die Leiche) in die Obhut der Staatsanwaltschaft zu geben und sich um den Tatort zu kümmern.“
Die Argumente im Schlussplädoyers des Verteidigers waren – meiner Meinung nach – abscheulich: Aufgrund der Trennung ihrer Eltern und der Tatsache, dass ihre Mutter nach Spanien auswandern musste, sei Keyla gezeichnet gewesen. Da sie sich um ihre Schwester kümmern musste, habe sie zu früh erwachsen werden müssen. All diese traumatischen Ereignisse hätten sie „zu dem fatalen Entschluss gebracht, sich umzubringen.“ Der Anwalt forderte Jarols Freispruch.
Nach den Schlussplädoyers übergab das Gericht das Wort an Keylas Vater, der im Publikum saß. Seine Worte waren deutlich:
„Ich habe nie geglaubt und werde nie glauben, dass meine Tochter ein Motiv für ihren Selbstmord hatte. Sie hatte ein Leben vor sich, sie hatte Träume und sie hatte keinen Grund, eine solche Entscheidung zu treffen.“
Er forderte das Gericht auf,
„nicht nur Keyla, sondern allen Frauen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die derzeitige Polizei muss saniert werden, damit wir eine Polizei erhalten, die uns wirklich dient und schützt.“
Abschließend informierte das Gericht, dass das Urteil erst gefällt wird, wenn der Oberste Gerichtshof die zwei pendenten Rekurse behandelt hat.
Als Frau, feministische Anwältin und Menschenrechtsanwältin hoffe ich, dass im Fall von Keyla – und in Hunderten von anderen Fällen von Femizid – Gerechtigkeit geübt wird, dass das Gericht das Verbrechen als schweren Femizid einstuft, dass ihre Mörder bestraft werden, dass die Polizei saniert wird, dass sie gestoppt wird, dass sie aufhört uns zu unterdrücken und zu töten. Und während ich diesen Artikel beende, kommt mir das Lied „Auf einer Polizeistation bringt sich niemand um!“ wieder in den Sinn, denn nein, Keyla hat nicht Selbstmord begangen, die Polizei hat sie getötet.
Bildlegende: Zelle der Polizeistation, in der Keyla tot aufgefunden wurde. Am 27. September begleitete PWS COFADEH bei der Inspektion der Zelle in der Polizeistation von La Esperanza.
[1] https://derechosdelamujer.org/wp-content/uploads/2022/03/Ficha-Femicidios-04.pdf