Die Erfolgsgeschichte einer Frauenorganisation
„Wenn das Huhn deiner Nachbarin in deinem Garten scharrt und deine Setzlinge zerstört, wirst Du es dann totschlagen oder mit einem Stein bewerfen, oder wirst du deine Nachbarin über den Zaun hinweg anschreien? Ist es nicht besser, Du gehst hinüber und sprichst mit ihr: ‘Por favor, könntest du nicht dafür sorgen, dass dein Huhn nicht meinen Garten zerstört.’“ Mit diesem Bild illustriert Doña Angelina die Geschichte der Frauenorganisation La Union in ihrem Dorf Santa Maria Tzejá.
Auf der Flucht
In den 70iger Jahren hat eine Gruppe von landlosen Campesinos, hauptsächlich Q’eqchi’ -Maya, das Land, das vorher Urwald war, mit dem Plazet der Regierung urbar gemacht und besiedelt. Sie waren auf den Fincas im Hochland der Willkür der Grossgrundbesitzer ausgesetzt und wollten sich ihre eigene Existenz aufbauen. Der Marsch mit Frauen, Kindern, einigen Kochtöpfen und Kleidern aus dem kühleren Hochland in den tropischen Regenwald an der mexikanischen Grenze dauerte acht Tage. Während des Marsches und im ersten Jahr mussten sie sich von dem ernähren, was der Wald hergab. Die älteren Leute im Dorf erzählen von den Mühen und Entbehrungen dieser Zeit, sind aber auch stolz über den gelungenen Aufbau ihrer Dorfgemeinschaft. Sie konnten sich allerdings nicht lange daran freuen. In den 80iger Jahren hat das Militär im bewaffneten internen Konflikt auch ihr Dorf verdächtigt, mit der Guerilla zusammenzuarbeiten und 1982 schwere Massaker verübt und das Dorf abgebrannt. Ein Teil der Überlebenden floh zuerst in die Berge und später nach Mexiko, ein anderer Teil beschloss, das Dorf wieder aufzubauen und wohl oder übel unter der Fuchtel des Militärs in einer „aldea modelo“, einem Modelldorf, zu leben. Statt der Willkür der Finqueros waren sie nun der Gewaltherrschaft des Militärs ausgesetzt. Die DorfbewohnerInnen, die sich zur Flucht entschlossen hatten, wurden durch die Propaganda des Militärregimes pauschal als Mitglieder der Guerilla verschrien.
Rückkehr ins zerstörte Dorf
Nach der Unterzeichnung der Friedensverträge 1996 war auf dem Papier der Weg frei für die Rückkehr der Flüchtlinge aus Mexiko. Damit sie diesen Weg auch einigermassen sicher gehen konnten, haben verschiedene Mitgliedsorganisationen von ACOGUATE sie begleitet. In ihrem Dorf wurden sie mit gemischten Gefühlen wieder aufgenommen: freudig, weil sich Freunde nach 16 Jahren wieder trafen und auseinandergerissene Familien wieder zusammengeführt wurden, aber auch misstrauisch, weil die Einflüsterungen der Militärpropaganda halt doch ihre Wirkung hatten.
Konkurrenz oder Kooperation
Während der Zeit im Exil haben die Frauen dieses Dorfs und anderer Mayadörfer eine Organisation der gegenseitigen Unterstützung gegründet: die Mamá Maquín. (Der Name geht auf Adeline Caal Maquín zurück, die in einem anderen Massaker 1978 in Panzós ermordet wurde.) Auch die Zurückgebliebenen hatten ihre Frauenorganisation: El Progreso. Während die Frauen von Mamá Maquín und ihre Familien ihre Häuser auf den überwucherten Parzellen wieder aufbauen mussten, hatten diejenigen von El Progreso bereits einige Rinder in einem gemeinsamen Projekt. Die Viehwirtschaft bei den Q’eqchi’ ist traditionell Frauensache. Zunächst beäugten sich beide Organisationen argwöhnisch, wegen der vom Militär eingepflanzten Vorurteile, aber auch wegen der wirtschaftlichen Unterschiede. Die Frauen von El Progreso befürchteten, dass die Frauen von Mamá Maquín einen Anspruch auf die Rinder anmelden würden. Doch es kam anders. Die Mamá Maquín setzten sich zusammen und beratschlagten, wie sie den sich anbahnenden Konflikt vermeiden könnten. Sie hatten genug vom Krieg, und wollten endlich in Frieden leben. In dieser Versammlung erzählte eine der Frauen die Geschichte vom Huhn der Nachbarin. Gemeinsam kamen sie zum Vorschlag, ihre lokale Sektion der Mamá Maquín aufzugeben, wenn die von El Progreso das auch tun würden und sie gemeinsam mithülfen, eine neue Organisation zu gründen. Der Vorschlag wurde El Progreso unterbreitet und nach einigen Verhandlungen kam es zur Auflösung beider Organisationen und zur Gründung von La Union. Das wichtigste Hindernis, das überwunden werden musste, waren die Rinder. Die Mamá Maquín sicherten zu, dass die Rinder nicht Teil der Fusion sein würden, sondern sie als separater Besitz bei den Frauen bleiben würden, die sie bereits auf ihrem Land hatten.
Frauen mit Geschäftssinn
Bereits im ersten Jahr hat La Union bei einem landwirtschaftlichen Entwickungsfonds den Antrag auf eine benzinbetriebene Maismühle gestellt und bewilligt erhalten. Im Leben der Campesinos ist die täglich frisch zubereitete maza (der Teig) für die Tortillas ein unabdingbares Alltagsritual und eine Mechanisierung dieser Arbeit am frühen Morgen eine gewaltige Erleichterung für die Frauen. Im Kredit für die Mühle waren auch die Betriebskosten für das erste Jahr enthalten. An sich hätten sie also gratis mahlen können. Im Unterschied zu anderen Gemeinden, die ebenfalls eine Mühle erhalten hatten, haben sie aber von Anfang an 1 Quetzal (12 Rappen) pro Pfund als Mahlgebühr erhoben. Damit konnten sie im ersten Jahr etwas Kapital ansparen, und die Frauen waren bereits darauf vorbereitet, dass ab dem zweiten Jahr das Mahlen etwas kosten würde. Schon zwei Jahre später stellten sie den Antrag auf eine zweite Mühle und konnten bereits etwas Eigenkapital in die Finanzierung einbringen. Für ihren Geschäftssinn wurden sie vom Verwalter des Fonds auch gebührend gelobt. Auf dieses Lob ist Doña Angelina auch heute noch sichtlich stolz. Die zweite Mühle war zweckmässig, weil die einzelnen Dorfteile recht weit auseinanderliegen und – wie wir erfahren haben – in der Regenzeit nur über lehmige Wege und reissende Bäche zu erreichen sind – oder nach Unwettern gar nicht. Nach der zweiten Mühle war es nicht schwierig, einige Zeit später einen weiteren Kredit für die dritte Mühle zu bekommen. Und so sieht man heute in der Frühe zwischen 5 und 7 Uhr viele Frauen und wenige Männer mit ihrer Tagesration Mais auf dem Kopf zur Mühle pilgern, und mit der maza von dort zurückkommen.
Ein Rind für jede Frau
Ein nächstes Projekt dieser Frauenorganisation hat ihnen viel Kopfzerbrechen bereitet. Vor dem Krieg hat das Dorf Rinder gezüchtet, daran wollten sie anschliessen. Sie haben deshalb für einen Kredit eingegeben, der es jeder Frau ermöglicht hätte, ein Rind aufzuziehen. Leider wurde nur die Hälfe des Kredits bewilligt. Die Frauen im Komitee haben überlegt, dass es vielleicht besser wäre, das Angebot abzulehnen, damit kein Unfrieden entstehe zwischen denen, die ein Rind zugelost erhielten, und jenen, die leer ausgingen. Nach längeren Diskussionen kamen sie dann auf eine bessere Lösung: Die Hälfte der Frauen, die ein Rind zugelost erhielten, würden sich verpflichten, das erste Kalb an eine Frau ohne Rind weiterzugeben.
Und auch weitere Kälber wären nicht individuelles Eigentum, sondern sollten immer an die weitergegeben werden, die aus irgendeinem Grund (Krankheit, Unfall etc.) ein Rind verloren hatten. Inzwischen hat jede der Frauen eine kleine Herde von 5 bis 6 Rindern. Manche melken sie jeden Tag und verkaufen die überschüssige Milch oder machen Käse. Dafür nehmen sie Wege bis zu einer halben Stunde auf ihr Landstück in Kauf. Anderen ist der Weg zu beschwerlich und sie überlassen die Milch den Kälbern. Die Milchleistung dieser regenwaldtauglichen Rasse ist natürlich sehr bescheiden.
Doña Angelina, die uns diese Geschichte erzählt hat, ist sichtlich stolz auf das Erreichte. Sie war schon zweimal im Komitee und ist für das nächste Jahr wieder vorgeschlagen. Sie will aber nur akzeptieren, wenn sie nicht das Amt der Kassierin übernehmen muss. Das hat ihr das letzte Mal viel Kopfweh und schlaflose Nächte bereitet.
Ob denn die Männer auch ähnliche Organisationen hätten, fragen wir. Ja, die Cooperative, aber die hätten viel mehr Konflikte…
Mehr Information über Santa Maria Tzejá:
Hompepage des Dorfs: https://santamariatzeja.wordpress.com/
Geschichte: https://commons.wikimedia.org/wiki/User_talk:Tzej%C3%A1
Der Blog eines Dorfbewohners: https://agustinortiz.wordpress.com/
Padre Luis: http://www.elmundo.es/suplementos/cronica/2007/587/1169938807.html
6. Oktober 2015, Peter Keimer (am 2. Okt. auf seinem privaten Blog veröffentlicht)