Kriminalisierung Der Bisher langwierigste Prozess von Kriminalisierung im Norden Guatemals ist beendet und von den Richtern als solcher anerkannt worden.
Die bereits im Oktober freigesprochenen, politischen Gefangenen Saúl Mendez und Rogelio Velásquez konnten schließlich in ihre Gemeinde zurückkehren. Die Menschenrechtsverteidiger aus Barillas, im Norden des Departement Huehuetenango, sind Teil des Widerstands der lokalen Gemeinden gegen den Ausverkauf ihres Territoriums. Sie wenden sich gegen den Bau der Wasserkraftwerke Cambalam I y Cambalam II, durch die spanische Firma Hidro Santa Cruz S.A.
Das erste Mal waren Saúl Mendez und Rogelio Velásquez im Mai 2012, während des damals ausgerufenen Belagerungszustands, zusammen mit sieben weiteren Anwohnern, festgenommen worden. Ihnen wurde die Beteiligung an Unruhen vorgeworfen. Zu diesen ist es, in Folge der Ermordung von Andrés Francisco Miguel gekommen, der ebenfalls gegen das Projekt aktiv gewesen ist. Von den beiden Tätern, Angestellten des Sicherheitspersonals der Firma, wurde nur einer wegen Verletzung des Opfers verurteilt. Die Haftstrafe wurde in eine Bewährungsstrafe umgewandelt und schließlich ganz aufgehoben. Saúl und Rogelio wurden nach mehr als einem halben Jahr Haft im Januar 2013, wegen Mangel an Beweisen, freigelassen. Die Festnahme selbst wurde durch die Arbeitsgruppe zu willkürlichen Festnahmen der Vereinten Nationen, als eine solche gerügt.
Am 27.08.13 wurden die Beiden unmittelbar vor der abschließenden Sitzung des gegen sie geführten Prozesses jedoch erneut festgenommen. Begründet wurde die Verhaftung mit der angeblichen Beteiligung an einem drei Jahre zuvor begangenen Lynchmord.
Am Ende des Prozesses der durch Verspätungen, verschobene und abgesagte Prozesstage, sowie die wiederholte Abwesenheit der Anklage, geprägten war, wurden die Angeklagten im November 2014 zunächst zu jeweils 33 Jahren und 4 Monaten Haft verurteilt. Beinahe ein Jahr später, erreichte die Verteidigung schließlich am 28.10.2015 einen Freispruch in zweiter Instanz. Dieser wurde aufgrund einer Klage gegen die RichterInnen in einem anderen Prozess, allerdings erst nach dem Ablauf der Frist für eine mögliche Revision, am 14.01.2016, rechtskräftig.
In ihrem Urteil wiesen die RichterInnen die Anklage der Staatsanwaltschaft aus mehreren Gründen als unhaltbar zurück: Sie habe sich von Prozessbeginn bis zum Plädoyer grundlegend geändert und sei zudem nicht präzise formuliert worden, was eine abschließende und objektive Beurteilung unmöglich mache. Außerdem seien die Thesen der Staatsanwaltschaft schwach und mit Fehlern und Widersprüchen gespickt und erfüllten dementsprechend nicht die obligatorische Sorgfalt. Die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Beweise entbehrten, laut Richterspruch zudem, jeglicher Glaubwürdigkeit. Sie würden im Falle der einzigen Zeugenaussage sogar das Plädoyer der Verteidigung stützen.
In ihrem Urteil bezeichnen die RichterInnen den Prozess, die Thesen der Verteidigung aufnehmend, als Repressalie gegen die Bevölkerung die sich der Ansiedlung des Projekts entgegengestellte. Die Kriminalisierung des Protests in Huehuetenango sei dabei nicht die Ausnahme. Sie wiederhole sich in anderen Teilen Guatemalas, wie beispielsweise San Juan Sacatepequez, San Rafael und Chiquimula.
Der an Wasser und Mineralien reiche Norden befindet sich schon seit vielen Jahren im Kampf für die Anerkennung der Rechte der originären Bevölkerung und gegen die Ausbeutung von dessen Ressourcen, durch meist transnational organisierte Konzerne. Die Bevölkerung beruft sich hierfür auf das “Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ (ILO 169), welches ihnen Schutz und den Anspruch auf eine Vielzahl von Grundrechten garantiert. Zu diesen zählt auch das Recht auf die territoriale Selbstbestimmung. Durch Volksabstimmungen in beinahe allen Landkreisen Huehuetenangos ist die Ansiedlung von Extraktionsprojekten, ohne die Rücksichtnahme auf und einen Vorteil für die Bevölkerung, klar zurückgewiesen worden. Trotzdem auch der guatemaltekische Staat das Abkommen ratifiziert hat, welches die Selbstbestimmung schützt, wird es faktisch nicht respektiert. Stattdessen ist die Bevölkerung von Diffamierung und Kriminalisierung betroffen, wie auch der Freispruch vom 28.10.15 hervorhebt. Saúl Mendez und Rogelio Velásquez sind bei weitem nicht die einzigen von der Kriminalisierung Betroffenen. Allein aus der Gemeinde Barillas befinden sich fünf weitere Personen in Haft. Die gegen sie geführten Prozesse folgen dabei alle einem ähnlichen Muster: Die Anklage eines schwerwiegenden Verbrechens wird genutzt um eine Schutzhaft zu begründen, welche die Staatsanwaltschaft und Anklage durch prozessverzögernde Maßnahmen längst möglich aufrecht erhält. Maßnahmen wie das Nichterscheinen der anklagenden Anwälte werden in den Verfahren gegen die MenschenrechtsverteidigerInnen zur Regel.
Außerdem sind gegen eine Vielzahl der gegen die Extraktionsprojekte organisierten Bevölkerung Haftbefehle ausgesprochen. Ein Umstand der darauf zielt den Widerstand weiter demobilisieren.
Um auf diese Situation aufmerksam zu machen wurde die Rückkehr der beiden Freigelassenen von einer Solidaritätskarawane begleitet, die in allen auf dem Weg liegenden, durch Extraktionsprojekte betroffenen Gemeinden Halt machte und freudig begrüßt wurde. In Barillas angekommen versammelten sich mehrere tausend Menschen, um die auf über 20 Fahrzeuge angewachsene Karawane willkommen zu heißen. Nach fünfzehn Stunden Fahrt durch die auf dem Weg liegenden Gemeinden und mehreren Jahren Haft in Unschuld, erreichten Saúl und Rogelio schließlich ihre Familien. Eine Entschädigung können sie nicht erwarten.
Simon Krosigk (Freiwilliger der deutschen Entsendeorganisation CAREA, mit ACOGUATE in Huehuetenango im Einsatz)