Die Powerfrauen der Benzinhauptstadt

Schon wieder sind vier Monate um und es meldet sich ein neues Beobachterteam (Deborah und Antonin) aus Barrancabermeja, Kolumbien. Unsere ersten Wochen waren turbulent, wir trafen uns mit vielen Organisationen, traten unsere ersten Reisen nach Guayabo und Garzal an und lernten viele spannende Leute kennen. Besonders beeindruckt aber haben uns die Menschenrechtsaktivistinnen einer lokalen Frauenorganisation.

Neues Team, neue Eindrücke

Nach Barrancabermeja? Ungläubig schaut mich der Busfahrer an. Die Frage ist immer die gleiche, wenn mich Kolumbianer darauf ansprechen, wo ich hinreise. Denn in die Industriestadt am Rio Magdalena verirrt sich nur selten ein Tourist. Nach zehn Stunden Fahrt in einem stark unterkühlten Bus erreichen wir unser neues Zuhause für vier Monate. Barrancabermeja, von den Einheimischen auf Barranca abgekürzt. Von hier aus werden wir in den nächsten Monaten unsere Reisen in die verschiedenen Comunidades antreten.

Die Stadt ist vor Allem für eines bekannt: Ihre Raffinerie. So wird sie in Kolumbien inoffiziell auch Benzinhauptstadt genannt. In der ortsansässigen Raffinerie des staatlichen Konzerns Ecopetrol werden 95% der in Kolumbien geförderten Ölmengen veredelt. Was an ihrer Produktion genau den Namen Eco verdient hat, bleibt mir ein Rätsel.

…und sie kamen nach Barranca

Ungewollte Berühmtheit erlangte die Stadt um die Jahrtausendwende. Sie gehörte zu den ersten Städten, die vollständig von paramilitärischen Gruppen kontrolliert wurden. Diese terrorisierten die Bewohner, begingen Massaker, Lynchjustiz und vertrieben viele Zivilisten. Zuvor war sie jahrelang in den Händen von verschiedenen Guerillagruppen gewesen. Nach der „offiziellen Demobilisierung“ der Paramilitärs unter Präsident Uribe im Jahr 2005, bildeten sich neue para-ähnliche Gruppen, von der Regierung als „Bandas Criminales“ bezeichnet. Diese gehen bis heute mit ähnlichen Taktiken wie die paramilitärischen Gruppen gegen ihre Gegner vor.

Nach Angaben von Credhos (Corporación Regional para la Defensa de los Derechos Humanos) wurden 2016 alleine im ersten halben Jahr 22 Morde in Barrancabermeja von den „Bandas Criminales“ begangen. Weiter wurde auch über zahlreiche Fälle von Drohungen, Vertreibungen, Autoritätsmissbrauch und Körperverletzungen berichtet.

Organización Femenina Popular

So erstaunt es nicht, dass in Barrancabermeja zahlreiche kolumbianische und internationale Menschenrechtsorganisationen tätig sind. Eine der Ersten war die Organización Femenina Popular, kurz OFP. Seit 1972 ist die Organisation in der Region aktiv und zählt zu den grössten und auch international bekannten Frauenorganisationen Kolumbiens.

Ursprünglich gegründet, um Frauen im Konflikt zu schützen und sie in ihrem Kampf gegen Unterdrückung und familiäre Gewalt zu organisieren, war sie später auch an vorderster Front aktiv im gewaltfreien Widerstand gegen die Besetzung durch die Paramilitärs. Die Menschenrechtsaktivistinnen waren diesen ein Dorn im Auge und so wurde die OFP Anfang 2001 offiziell zum militärischen Ziel der Paramilitärs erklärt. Als Resultat wurden drei Mitarbeiterinnen der Organisation ermordet, etliche wurden angegriffen, bedroht, entführt oder gefoltert.

Doch die Frauen der OFP liessen sich nicht unterkriegen und nach über 40 -jährigem Bestehen ist die Organisation stärker denn je. Der Hauptsitz befindet sich immer noch in Barrancabermeja, doch inzwischen verfügt die Organisation über ein Netz aus Frauenhäusern, Gesundheits- und Verpflegungsstationen, Rechtsberatungsstellen und sogar über ein eigenes Informationszentrum. Doch die Bedrohung bleibt weiterhin bestehen, denn auch nach dem Abschluss der Friedensverträge zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc lebt es sich gefährlich als Menschenrechts-verteidigerIn in Kolumbien. Laut der Organisation Somos Defensores wurden in der ersten Hälfte des letzten Jahres jeden zweiten Tag ein/e AktivistIn angegriffen, jeden fünften Tag wird eine/r ermordet.

Im Rahmen des Begleitprogramms klären wir momentan ab, inwiefern wir die OFP begleiten werden.

Zukünftig werden wir hier öfters neue Beiträge von unserer Arbeit posten.

Mehr zu OFP

Deborah Bieri, März 2017

Bild: OFP bei einer Demonstration in Bucaramanga. Quelle: Facebook

One thought on “Die Powerfrauen der Benzinhauptstadt

  1. brittaholden says:

    Hallo Debbie und Antonin,
    schön von Euch zu hören. Das ist ja unfassbar, die Zahlen, die Ihr erwähnt, über die Missachtung und Verletzung der Würde und Rechte der Frauen. Spannend, das PWS sich da einschalten möchte.
    Bin gespannt, wie es Euch so ergeht, Wetter, Leben, Essen? Und denke an Euch.
    Amistades, Britta

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