Der Fluch des schwarzen Goldes

Seit Anfang dieses Jahres begleitet Peace Watch Switzerland wieder die Gemeinde El Hatillo im Nordosten Kolumbiens. Die Gemeinde sitzt regelrecht auf Kohle und rundherum wird diese in verschiedenen Minen abgebaut. Die Dorfgemeinschaft ist den Folgen des Kohletagebaus schutzlos ausgesetzt. Ende März besuchten wir El Hatillo zum ersten Mal. Dort haben wir eine Woche lang die Líderes der Gemeinde bei ihrem Kampf für eine rasche und faire Umsiedlung begleitet.

Ein Berg, der keiner ist

Schon von Weitem sehen wir die riesigen Abraumhalden der Mine. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Berge und dominieren die sonst flache Landschaft. Sie sind durch das Aufschütten vom Aushub aus dem Tagebau entstanden. Unser Tuk-tuk rattert in Schlangenlinien über die unebene Landstrasse, die von der Kleinstadt La Loma zum Dorf El Hatillo führt. Die Strasse ist auf beiden Seiten mit Stacheldraht eingezäunt, auf der einen Seite liegt die Mine, auf der anderen die trockene Steppe, beide sind im Besitz des Bergbauunternehmens. Der Boden ist von einer weiss-grauen Staubschicht bedeckt, Staub vom Kohletagebau der benachbarten Mine. Das Dorf El Hatillo liegt in mitten des Kohleabbaugebietes. Seine unmittelbaren Nachbarn sind niemand Geringeres als drei Kohleminen der internationalen Rohstoffgiganten Drummond, Glencore Xstrata mit ihrer Tochterfirma Prodeco und CNR (Colombian Natural Ressources), welche dem US amerikanischen Finanzinstitut Goldman Sachs gehört.

Ein Präzedenzfall 

El Hatillo liegt im Department Cesar im Norden Kolumbiens. Seit Mitte der neunziger Jahren wird hier Kohle gefördert. Doch der Kohletagebau hat drastische Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Die feinen Kohlepartikel in der Luft verursachen Lungen-, Augen- und Hautkrankheiten und verschmutzen das Fluss- und Trinkwasser. In den letzten Jahren wurde die Gemeinde vom Kohlebergbau eingekreist. Sie verlor den Zugang zu Wasser und zu landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Den Kleinbauern und Fischern wurde so schlichtweg ihre Existenzgrundlage entrissen. Dadurch sank die Nahrungsmittelproduktion erheblich und die Leute im Dorf verarmten. Als Folge ordnete das kolumbianische Umweltministerium 2010 die Umsiedlung an. Damit ist El Hatillo ein Präzedenzfall, es ist die erste vom Staat angeordnete Umsiedlung. Das Umweltministerium hat die ansässigen Minen dazu verpflichtet bis Ende des Jahres 2012 eine Umsiedlung des Dorfes nach Weltbankrichtlinien durchzuführen. Doch bis heute sind die Verhandlungen nicht abgeschlossen. Eine der grössten Herausforderung momentan ist, ein passendes Grundstück für den Wiederaufbau El Hatillos zu finden. Denn das meiste Land in der Region ist für Kohlebergbau konzessioniert, für die Kleinbauern bleibt kaum mehr Land zum Leben.

Feind und Freund in einem 

Der kolumbianische Staat und die Bergbauunternehmen schieben sich im Fall El Hatillo gegenseitig die Verantwortung zu. Die Letzteren behaupten, dass sie mit ihren Lizenzgebühren an den Staat schon ihren Beitrag leisten würden. Der Staat sei jedoch korrupt und so komme das Geld nicht bis zu den Betroffenen. Es scheint, als wüsste die Bevölkerung El Hatillos schon aus Erfahrung, dass vom Staat nicht viel zu erwarten ist und so wenden sie sich mit ihren Forderungen an den ersten sichtbaren Feind: Die Bergbauunternehmen. Diese haben die alleinige Verantwortung für die Umsiedlung. Der Staat hat sich hier geschickt aus der Affäre gezogen. Doch so ist die Dorfgemeinschaft auf Gedeih und Verderben dem Goodwill der Bergbaukonzerne ausgeliefert. Ausser einigen NGOs gibt es niemanden, der den Prozess der Umsiedlung kontrolliert und den Unternehmen auf die Finger schaut. Weiter ist die Gemeinde auch finanziell stark abhängig von diesen. So erhält jede Familie pro Monat 300’000 kolumbianische Pesos, umgerechnet etwas mehr als 100 Schweizer Franken, von den Bergbauunternehmen. Es wird jedoch nicht berücksichtigt, ob eine Familie vier Personen umfasst oder zehn, und kolumbianische Familien sind normalerweise gross. Bei vielen Familien sind diese 100 Franken ihr einziges Einkommen.

Drohungen nehmen zu 

Anfang dieses Jahres spitzte sich die Lage zu. Ein Vertreter der Gemeinde, Aldemar Parra, wurde auf der Landstrasse, die von der Minenstadt La Loma nach el Hatillo führt, erschossen. Er war zwar kein Líder des Prozesses, war aber mit mehreren der Anführer eng verwandt. Bis heute wurde für den Mord niemand zur Rechenschaft gezogen, obwohl die Dorfbewohner ahnen, wer die Verantwortlichen sind. Doch aus Angst schweigen sie. Auch erhielten mehrere der Líderes Drohungen in Form von Anrufen, SMS oder Flugblättern. Einer der Anführer erzählt uns, dass er vor einigen Monaten einen seltsamen Anruf erhalten habe. Eine angebliche Personalverantwortliche der Mine bat ihn, so schnell wie möglich seinen Lebenslauf persönlich vorbeizubringen. Er war skeptisch und ging der Forderung nicht nach. Später erhielt er von der gleichen Nummer einen weiteren Anruf, in dem sie ihn mit dem Tod bedrohten. Der Anruf blieb kein Einzelfall. Die vielen Drohungen führen dazu, dass einige Führungspersonen sich kaum mehr in der Lage sehen, sich in die Verhandlungen einzubringen, aus Angst um die eigene und die Sicherheit ihrer Familie. Einige haben sich schon aus dem Prozess zurückgezogen und weitere haben angekündigt, dies bald zu tun. Diese Umstände schwächen die Verhandlungsposition der Gemeinde sehr und machen es schier unmöglich, zielstrebige und faire Verhandlungen zu führen.

Kein Ende in Sicht 

Seit 2010 wartet die Gemeinde auf die Umsiedlung, der Prozess läuft schleppend. Die Leute sind müde, der Prozess zieht sich schon seit mehr als sechs Jahren hin und immer ist noch kein Ende absehbar. Je länger der Umsiedlungsprozess dauert, desto grösser wird der Druck auf die Bevölkerung, eine für sie suboptimale Lösung zu akzeptieren. Eine weitere Strategie der Bergbauunternehmen ist, einige Bewohner zum Verkauf ihrer Grundstücke zu überreden und die Gemeinde so zu spalten. Diese Strategie scheint aufzugehen. Denn nicht alle stehen mehr hinter der Arbeit der Líderes, so haben sie auch schon Drohungen aus den eigenen Reihen erhalten. Einige geben ihnen und auch den beteiligten NGOs die Schuld, dass sich der Prozess so lange hinzieht.

Einen kleinen Lichtblick gibt es aber. Einige NGOs konnten mit einer sogenannten Tutela, einer Grundrechtsklage, erreichen, dass die unmittelbar neben dem Dorf gelegene Mine ihre Produktion vorübergehend einstellen musste. Diese war vor allem für die Feinstaubbelastung im Dorf verantwortlich. Die nächsten Verhandlungen mit den Bergbauunternehmen sind für Anfang Mai angesetzt. Das Einsatzteam von Peace Watch Switzerland wird im Rahmen seiner Möglichkeiten diese als internationale Beobachter begleiten.

Deborah Bieri, April 2017

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