…was bisher geschah, Episode 3

KOLUMBIEN

El Guayabo und Bella Union

Freitag Abend fahren wir von Regidor den Fluss aufwärts, um El Guayabo zu besuchen. Dort findet eine Versammlung mit verschiedenen Organisationen statt, welche alle mit El Guayabo und Bella Union zusammenarbeiten. Neben uns sind auch ECAP, Programa de Desarollo y Paz, die Anwälte und Justa Paz vor Ort. Abends läuft laute Musik, es gibt ein Glas Bier für jeden zum anstossen und die Stimmung ist gut.
Natalia und ich sind schon relativ müde, nachdem wir nun schon seit 4 Tagen unterwegs sind. Trotzdem lassen wir uns die Dorfparty natürlich nicht entgehen und die ausgelassene Stimmung gibt uns wieder etwas Energie.

Am nächsten Morgen geht es weiter mit der Versammlung. Als wir aufstehen und uns überlegen, was der Tag wohl so bringt, wissen wir noch nicht, dass die nächsten 30 Stunden extrem anstrengend und unvorhersehbar werden. Die Sonne scheint, ein leichter Wind weht, alles scheint ruhig zu sein und die Stimmung ist gut. Es wird viel gelacht und die Guayaberos sind sehr motiviert. Kurz nachdem Zenaide (PAS) begonnen hat, die Ziele für den heutigen Workshop vorzustellen, kommt ein junger Kerl auf einem Pferd angeritten und lässt die Bombe platzen: Rodrigo ist bei den Fincas! Mit Polizei, Militär und noch ein paar andern Menschen.
Erst glaube ich, meine Spanisch Kenntnisse spielen mir einen Streich. Ein kritischer Blick zu Natalia zeigt mir aber, dass ich richtig verstanden habe.

In kürzester Zeit sind alle in Auffuhr. Marco*, ein Leader entscheidet, dass wir alle einen Johnson (grosses Kanu) nehmen um zu den Fincas zu gelangen. Mit seiner 4-jährigen Tochter läuft er los, bis seine Frau Monica* ihm hinterher läuft und ihm erklärt, dass er ja wohl nicht wirklich in Betracht ziehe, mitzugehen. Das sei ein viel zu grosses Risiko für ihn, der so exponiert ist. Nach einer hitzigen Diskussion entscheidet Monica in der typischen Latina-Weise: Du und die Tochter bleiben hier, ich gehe – und ich will nichts mehr hören.
Ich muss mir ein Grinsen verkneifen, gehe aber zu Marco, pflichte Monica bei und irgendwann gibt er sich geschlagen, nimmt die Tochter an die Hand und hilft uns bei der Vorbereitung des Johnsons und schaut, dass wir alle gut uns wohlbehalten ins Boot kommen und los fahren. Dann bleibt er nervös winkend am Hafen zurück und man sieht ihm an, dass er mit so viel Aufregung heute wirklich nicht gerechnet hatte.

Angekommen bei den Fincas treffen wir einen Soldaten in Uniform, der mit einem Mann in Zivil in der Gegen steht und quatscht. Gabriel, der Anwalt von El Guayabo macht den Plan klar: Ich gehe mit den Acompañantes hin und rede mit denen und ihr (die Gemeinde) bleibt hier beim Boot, redet auf keinen Fall mit Irgendjemandem in Uniform  – und wartet ab.

An dieser Stelle ist vielleicht zu erwähnen, dass die Gemeinde einerseits nicht mit der Polizei etc. reden soll, um zu kontrollieren, welche Informationen nach Aussen geraten. Andererseits ist die Gefahr zu gross, dass sich jemand zu sehr von seinen Emotionen leiten lässt und sich mit jemandem anlegt, und darauf hin wegen Missachtung der behördlichen Autorität verhaftet werden könnte.

Letzte Sicherheitshinweise und los geht es. Natalia und ich wissen beide noch nicht so richtig, was uns erwartet und auch wenn uns die Situation der Campesin@s Sorgen bereitet, sind wir ein bisschen aufgeregt, den Namen Rodrigo endlich mit einem Gesicht verbinden zu können, nachdem wir so viele Storys über ihn gehört hatten.

Nach kurzem Austauschen von Höflichkeiten mit dem Militär und dem Mann im schwarzen T-Shirt, gehen wir los, die Polizei und Rodrigo zu suchen. Wir laufen den ganzen Weg nach Bella Union, halten kurz bei Erica*, um herauszufinden, ob die Polizei dort war, was diese jedoch verneint. Nach 40 Minuten Laufen bei praller Sonne lässt sie uns erst wieder gehen, nachdem jede ein Glas frische, kalte Limonade getrunken hat – selten war ich jemandem so dankbar!
Wir laufen unverrichteter Dinge zur Anlegestelle zurück, wo das Militär uns weiterhin erzählen will, die Polizei und Rodrigo wären nie da gewesen. Gabriel kennt die Dynamik allerdings zu gut, um dem Soldat zu glauben und entscheidet, dass wir warten. Nicht nur, um alle zu beruhigen, sondern auch um herauszufinden, was die Polizei eigentlich hier will.

Nach kurzer Zeit kommen ca. 10 Polizisten angelaufen, im Schlepptau Rodrigo. Angeführt wird die ganze Truppe von Camilo, der Polizeikommandant welcher im Dezember die Zwangsräumung geleitet hat. Gabriel spricht ihn an und versucht herauszufinden, was sie hier eigentlich machen. Die Antwort lautet: Stellen sie bitte einen schriftlichen Antrag! Nach einer längeren Diskussion kommt plötzlich noch ein weiteres Boot mit zwei Leuten, welche sich zu Rodrigo in dem Soldaten gesellen. Erst ist unklar, wer es ist, Natalia und ich kennen die Situation zu wenig und sind zu nervös mit all den bewaffneten Polizisten um uns herum, um tatsächlich wahr zu nehmen, was dort passiert. Erst als Gabriel uns darauf hinweist, dass es sich dabei um den Kommandanten der Paramilitärs aus der Region handelt, wird uns dessen Anwesenheit tatsächlich bewusst. Natürlich wird die Aufregung dadurch nur noch grösser. Die Guayaberos sind am Ende mit ihren Nerven und fangen an, sich mit dem Militär zu streiten, bis jemand dazwischen geht, und sie zurück zur Anlegestelle schickt. So schwer es auch fällt, im Moment ist die beste Option die sie haben, Gabriel seinen Job machen zu lassen und abzuwarten.

Gabriel versucht ein weiteres Mal aus dem Soldaten herauszubekommen, was die hier eigentlich wollen, aber auch dieser antwortet nur: stellen sie einen schriftlichen Antrag. Gabriel ist leicht genervt, aber gleichzeitig kennt er dieses Spiel zu gut, um sich etwas anmerken zu lassen.
Die ganze Zeit stehen Natalia und ich neben ihm, filmen, machen Fotos und versuchen die Überblick über die Situation zu behalten.
Nach ca. 20 Minuten setzen sich Polizei, Rodrigo und der Kommandant der Paramilitärs wieder in ihr Boot und fahren davon. Die Aufregung ist immer noch gross, aber immerhin ist die grösste Gefahr erst einmal gebannt. Nichts ist passiert, alle sind wieder weg, niemand wurde festgenommen und alle Fincas stehen noch.

Gabriel hat -aus meiner Sicht- einen unglaublichen Job gemacht. Hat den passiv-aggressiven Ton der Polizisten vollständig ignoriert und mit Worten dagegengehalten. Er hat dem Polizeikommandanten eine Lektion in Jura erteilt und ihn wie einen Idioten aussehen lassen. Er hat dem Militär klar gemacht, dass sie unter Beobachtung stehen. Dass hier so schnell keiner hinkommt und mit “unserer” Gemeinde Blödsinn macht.
Gleichzeitig hatten wir Glück. So viele Organisationen zur selben Zeit in einer Gemeinde, das geschieht nicht häufig. Auch, dass der Anwalt dabei war, war grosses Glück für die Gemeinschaft, aber auch für uns. So sind alle einigermassen ruhig geblieben und es gab jemanden, der offiziell die Aufgabe hatte, mit den Leuten zu reden und sich zu streiten.

Wieder in El Guayabo gibt es ein sehr spätes Mittagessen für alle und danach eine Krisensitzung. Noch in der Nacht rufen wir bei der UNO an, um herauszufinden, was die Polizei eigentlich wollte. Die UNO reagiert schnell wirkt gut vorbereitet (was mich an einem Sonntag Abend doch wirklich positiv überrascht) und findet heraus, dass der heutige Polizeieinsatz nicht genehmigt war.

So unangenehm und anstrengend die Situation war, diese letzte Information bedeutet viel Gutes. Gabriel erklärt allen, dass wir sie sozusagen mi “herunter-gelassenen-Hosen” erwischt haben: Die Polizei hätte nicht dort sein dürfen. Sie hätten sich nicht mit Rodrigo sehen lassen dürfen. Der Kommandant der Paramilitärs hätte seine Verbindung zur Polizei, dem Militär und Rodrigo nicht offen zeigen dürfen. Wahrscheinlich war all das auch nicht so geplant. Vermutlich hat niemand damit gerechnet, dass wir da sind, dass wir alles aufnehmen werden und dass der Anwalt der Gemeinde dabei ist, welcher obendrein in der chaotischen Situation einen kühlen Kopf bewahrt.

Wir ändern unsere Pläne noch in derselben Nacht. Marco bittet uns, noch ein bisschen länger in der Gemeinde zu bleiben, und das tun wir am Ende auch. In einem persönlichen Gespräch mit Gabriel finde ich heraus, dass er in dem Vorfall heute viel gutes sieht, da es nach Aussen das Bild vermittelt, dass viel Unterstützung da ist. El Guayabo kämpft nicht alleine. Es handelt sich nicht um 20 BäuerInnen, die sich alleine gegen alle stellen. Es handelt sich um sehr viel mehr BäuerInnen, welche Anwälte und nationale und internationale Begleitung haben. Und auch wenn Rodrigo das eigentlich schon alles wusste, es schadet nie, das noch mal klar zu stellen.

Sophia Zademack, Barrancabermeja, Juni 2018


Bildlegende: El Guayabo, Hafen ©Sophia Zademack PWS, 2018

*Name geändert

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