GUATEMALA. Die sexuelle Gewalt in Konflikten ist eine Tragödie für die Menschheit. Damit die Betroffenen sich von der Scham, die der Missbrauch in ihnen hervorgerufen hat, befreien können, stellt der Internationale Tag zur Beseitigung sexueller Gewalt in Konflikten[1] nebst der Prävention die Achtung der Betroffenen ins Zentrum. Denn weltweit gesehen waren oder sind eine grosse Anzahl Frauen Opfer von sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten. Das Beispiel der Situation solcher Frauen während des bewaffneten internen Konflikts in Guatemala verdeutlicht das Problem (vgl. den Blog-Post zum historischen Urteil im Fall Sepur Zarco).
1996 beendete die Unterzeichnung der Friedensverträge den 36 Jahre dauernden guatemaltekischen Bürgerkrieg. Doch der Frieden täuscht. Die Kriegstraumata und die sozialen Brüche sind noch sehr präsent,[2] ebenso die sexuelle Gewalt. Während des bewaffneten Konflikts wurde Vergewaltigung als Machtinstrument einer Terrorstrategie eingesetzt, die zum Ziel hatte, die indigenen Gemeinschaften zu kontrollieren. Teilweise wurde sie zum Zahlungsmittel, mit dem die Frauen ihr eigenes und das Überleben ihrer Kinder kaufen mussten. Die Armee setzte Vergewaltigung auch als Geschenk ein, mit dem sie den Soldaten für ihren Kriegseinsatz dankte, oder als Folterinstrument. Während der Massaker zwischen 1981 und 1982 wurden viele indigene Frauen in ihren Gemeinden mehrfach vergewaltigt. Die guatemaltekische Wahrheitskommission («Comisión para el Esclarecimiento Histórico», CEH) anerkennt die Frauen und Mädchen als direkte Opfer solcher Vergewaltigungen.
In Europa wurde Vergewaltigung 1914 zum ersten Mal als Kriegsverbrechen angeprangert. In der Folge wurde begonnen, Normen des internationalen Rechts auszuarbeiten, welche die Frauen in bewaffneten Konflikten schützen sollten. Die entsprechenden Instrumente der internationalen Rechtsprechung sind allerdings erst seit ein paar Jahren vorhanden.
Die sexuelle Gewalt gegen Frauen im bewaffneten internen Konflikt in Guatemala stellt ein schweres Verbrechen dar, da sie massenhaft und systematisch angewendet wurde. Man geht von 42’275 Betroffenen aus, von denen 35% nach dem sexuellen Missbrauch umgebracht wurden.[3] Am häufigsten war die Anwendung von sexueller Gewalt zwischen 1980 und 1983 in den Departementen Quiché (55% der registrierten Fälle), Huehuetenango (25%) und Alta Verapaz (7%).[4] Zu den Tätern gehörten Armeemitglieder, Mitglieder der paramilitärischen Selbstverteidigungspatrouillen («Patrullas de Autodefensa Civil», PAC) und weitere sogenannten Sicherheitskräfte.
Die Auswirkungen der Gewalt gegen Frauen zeigen sich auf verschiedenen Ebenen. Neben den physischen Nachwirkungen werden die Vergewaltigungen als Schmerz, Erniedrigung und Schande erfahren und zeitigen so auch psychische Auswirkungen. Ein möglicherweise durch die Vergewaltigung hervorgerufenes starkes Schuldgefühl kann zur Ablehnung des eigenen Körpers und der eigenen Sexualität führen. Zusätzlich sind Massenvergewaltigungen auch eine Botschaft an die Gemeinschaft. Aufgrund der vorherrschenden Geschlechterrollen und -hierarchien führt die sexuelle Gewalt gegen Frauen zu Friktionen im Sozialgefüge und ist eine klare Botschaft an die Männer der Gemeinschaft: “Ihr wart unfähig, eure Frauen zu schützen!” Noch komplizierter ist es, wenn aus diesen Vergewaltigungen Schwangerschaften hervorgehen. Entweder treiben die Frauen unter hygienisch prekären Bedingungen ab oder sie werden, wenn sie die Kinder gebären, marginalisiert oder ausgeschlossen, sie und ihre Eltern gelten als schuldig. Folglich schweigen die Frauen, verbergen ihren Schmerz und leiden an physischen und psychischen post-traumatischen Stresssymptomen.
Damit die Opfer das Trauma überwinden und einen Heilungsprozess beginnen können, ist es unabdingbar, dass das Schweigen gebrochen wird. Dazu müssen die sozialen Normen und Kontrollmechanismen überschritten werden. Nur so können die Ungleichheiten und Machtstrukturen zwischen Männern und Frauen angeprangert werden. Der Kampf für Gerechtigkeit spielt eine zentrale Rolle im Heilungsprozess. Sexuelle Gewalt in Konflikten muss als Menschenrechtsverletzung anerkannt werden. Die Vorstellung, es handle sich bei sexueller Gewalt um eine Privatsache, darf nicht länger vorherrschen. Denn es handelt sich dabei vielmehr um ein barbarisches Verbrechen wie Folter, gewaltsames Verschwindenlassen und Hinrichtung.
Die Vergangenheit kann nicht mehr geändert werden, doch die Anerkennung der Wahrheit unterstützt den Heilungsprozess. Juristische Gerechtigkeit stellt einen ersten Schritt dar zur Rehabilitierung der Opfer.[5]
Elodie Sierro, Juni 2018, Guatemala (Übersetzung aus dem Französischen: PWS)
Titelbild: Eine Gruppe von Frauen aus der Region Ixil. © PWS 2015
[1] http://www.unwomen-nc.at/news/1-internationaler-tag-our-beseitigung-von-sexueller-gewalt-in-konflikten/
[2] http://www.peacewatch.ch/Guatemala.12.0.html
[3] Y. Aguilar (2005), La Violencia Sexual durante el conflicto armado interno en Guatemala y la necesidad de recordar para reconstruir memoria colectiva desde las mujeres
[4] Ebenda
[5] Ebenda