Historisches Urteil im Fall Sepur Zarco

Gerichtsurteil Sepur Zarco – Ein Zeichen im Namen der Gerechtigkeit für die Frauen von heute, von gestern und von morgen

Wie im letzten Beitrag erwähnt (s. “Ein ereignisreicher Start ins neue Jahr sowie bei ACOGUATE” vom 26. Febr.), haben wir letzten Monat den Gerichtsfall “Sepur Zarco” täglich begleitet, in dem 15 Frauen des Maya Q’eqchi Volks die traurige Wahrheit von täglichen Vergewaltigungen, Sklaverei und ermordeten und entführten Familienmitgliedern ans Tageslicht brachten und von den guatemaltekischen Rechtsbehörden Gerechtigkeit einforderten. Für die Überlebenden waren das Brechen des jahrelangen Schweigens und die Einreichung der Klage ein enormer und beängstigender Schritt: Mit Hilfe psychologischer Betreuung der Organisation ECAP begannen sie nach und nach ihre Vergangenheit zu bewältigen und die oft mit sexueller Gewalt assoziierten Scham- und Schuldgefühle zu überwältigen. So lernten sie, abzugrenzen was ihnen widerfahren war und dass es keineswegs ihre Schuld war. Es blieb nur die Frage einer der Zeuginnen:

“Was sagt das Rechtssystem zu dem, was uns widerfahren ist?”

Am 26. Februar wurde nach 4-wöchigen Gerichtsverhandlungen schliesslich das Urteil verkündet: Nach 34 Jahren erfahren die versklavten und sexuell missbrauchten Frauen endlich Gerechtigkeit und Anerkennung der Schmerzen, der Scham und der Ausgrenzung, die sie jahrelang erlitten haben. Oberstleutnant Estelmeer Francisco Reyes Girón werden 120 Jahre Gefängnisstrafe für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Formen von sexueller Gewalt und Sklaverei und für den Mord eines der vorgenannten Opfer und ihrer beiden minderjährigen Töchter zwischen 1982-1983 auferlegt. Der zweite Angeklagte, Ex Militärkommissionär Heriberto Valdez Asij erhält 240 Jahre für das Delikt des gewaltsamen Verschwindenlassen von sieben Landarbeitern und ebenfalls für die sexuelle Gewalt und Sklaverei.

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Sandra Sebastián

Bei der Urteilsverkündigung war der grosse Saal (Sala de Vista) des Obersten Gerichtshof Guatemalas so voll wie noch nie und über 300 Frauen und Männer jubelten über die nach so langer Zeit endlich erlangte Gerechtigkeit, die  einen wegweisenden Vorläufer für Frauen und Opfer sexueller Gewalt in Guatemala sowie weltweit darstellt. Unsere MenschenrechtsbeobachterInnen beschreiben den Moment als unglaubliches Gefühl der Bestätigung im Kampf aller Frauen für ihre Rechte.

Die Gerichtspräsidentin Yasmin Barrios drückte in der Urteilsverkündung ihr Entsetzen über die unmenschliche und zutiefst entwürdigende Vorgehensweise der Militäreinheit in Sepur Zarco aus und betonte, dass die Gerechtigkeitsfindung in diesem Fall umso wichtiger ist, da eine solche Tragödie nie mehr vorkommen solle.

Die Gesichtsverschleierung von Frauen hat in diesem Prozess eine ganz neue Bedeutung erhalten:
Tag über Tag sahen die MitverfolgerInnen des Verfahrens eine Gruppe von 10 bis14 Frauen in ihrer traditionellen Kleidung, bestehend aus langem Jupe und Guipil (Bluse) – und auf viel farbenprächtige Gesichtsverschleierung. Während in Europa in letzter Zeit die Gesichtsverschleierung und v.a. die Burka für grosse Diskussionen sorgt und mit der Unterdrückung der Frauen assoziiert wird, tut sie hier genau das Gegenteil. Die Gesichtsverhüllung gab den mutigen Frauen trotz  konstanter Bedrohungen seitens der Beschuldigten und der ganzen gespaltenen Gemeinschaften die Möglichkeit, an ihrem eigenen Verfahren für Gerechtigkeit teilzunehmen. So wurden die wunderschönen gemusterten und bunten Tücher zum Symbol des Gerichtsverfahrens und die Frauen strahlten darin eine enorme Energie und Selbstsicherheit aus.

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Sandra Sebastián

Wiederherstellung der Würde der geschändeten Frauen Sepur Zarcos
Zusätzlich zu monetärer Wiedergutmachung sollen die überlebenden Frauen ihre Würde zurückerhalten. Daher wird der 26. Februar als nationaler Tag der Anerkennung sexueller Gewalt als Verbrechen ernannt. Des Weiteren sollen in den indigenen Gemeinschaften der Frauen, die durch den internen bewaffneten Konflikt stark betroffen waren und nach wie vor vom Staat vernachlässigt werden, das Bildungs- und Gesundheitswesen unterstützt werden, um insbesondere auch den Mädchen den Zugang zur Schule gewähren zu können. Über 30 Jahre lebten diese Frauen mit Scham und Schuldgefühlen und am Rande der Gesellschaft in Armut und es kostete sie sieben Jahre, das Schweigen über die erlittenen Schandtaten zu brechen.

Wiederholt sich die Geschichte?
Was zu denken gibt: Vor der Ankunft des Militärs war keine dieser Frauen von Armut bedroht, im Gegenteil: ihre Familien kämpften darum, das ihnen zustehende Land, welches ihr Maya Q’eqchi Volk (die zweit grösste ethnische Gruppe Guatemalas) seit über 500 Jahren besiedelte, anerkannt zu bekommen. Die Parallelen der Verganenheit zur Gegenwart schockieren: damals wie heute bestehen Interessenskonflikte bezüglich Landbesitz und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, welche allzu oft blutig enden. Bestes Beispiel ist die letzten Donnerstag ermordete Honduranerin Bertha Cáceres, die sich für indigene Völker und die Umwelt und damit gegen multinationale Konzerne einsetzte und dafür in ihrem eigenen Haus kaltblütig erschossen wurde. Ähnlich erging es auch Adolfo Ich aus El Estor, derselben Region im Polochic Tal im Nordosten Guatemalas, und Angehöriger derselben Ethnie, der aufgrund friedlichen Widerstands gegen den Bergbau durch mehrere Kopfschüsse von den privaten Sicherheitskräften des vor Ort tätigen Unternehmens getötet wurde. Seine Frau Angélica Choc und eine weitere Person, die angeschossen wurde und nun im Rollstuhl sitzt, klagten gegen den Sicherheitschef. (Mehr zu diesem von ACOGUATE begleiteten Fall auf dem privaten Blog des ehemaligen PWS-Freiwilligen Peter Keimer.) Bedauerlicherweise wurde plötzlich aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Fortführung des Verfahrens hinter unter Ausschluss der Oeffentlichkeit angeordnet. Dies bedeutet, dass wir unsere Arbeit nicht wie geplant fortstzen können und lediglich mit Unbehagen auf das Urteil warten – Bis anhin hat die Richterin durch subtile diskriminierende Haltung gegenüber der Klägerin ein zweifelhaftes Bild als unabhängige und der Gerechtigkeit treuen Richterin abgegeben. Mehr dazu folgt im Verluf der Zeit erfahren.

So sagten mehrere der ZeugInnen im Fall Sepur Zarco aus:

“Der ganze Konflikt begann, als wir die Rechte auf unser Land beantragten.”

Verurteilung im Fall Sepur Zarco als Vorbildliches Beispiel für die Anerkennung sexueller Gewalt als Verbrechen weltweit
Zum ersten Mal in der Weltgeschichte wird systematische sexuelle Gewalt als Kriegswaffe im eigenen Land verurteilt, während in Präzedenzfällen in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien der Internationale Strafgerichtshof zum Zuge kam. Über 30 Jahre dauerte es, bis diese Frauen ihr Schweigen brachen; wie viele andere Frauen auf dieser Welt erlitten dieselbe Unterdrückung auf brutalste und entwürdigendste Weise? Wie viele Frauen werden anstatt als Opfer als Mitverantwortliche oder Provocateuse in Fällen sexueller Misshandlung angesehen? Sexuelle Gewalt ist NIE gerechtfertigt, weder in Friedens- noch in Kriegszeiten!

Laura Kleiner, Guatemala-Stadt, 10. März 2016

nomasviolencia

Mynor Lissandro de la Roca

https://amerika21.de/2016/02/145649/sepur-zarco-schlussplaedoyers

http://www.aljazeera.com/indepth/features/2016/03/guatemala-justice-sepur-zarco-sex-slavery-victims-160303072107762.html

https://www.plazapublica.com.gt/content/beneath-shawls-justice-served

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