Sexuelle Gewalt gegen Frauen im Friedensvertrag in Kolumbien

KOLUMBIEN. Vor kurzen führte PAS einen Workshop für Frauen durch. Dieser ging zwei Tage und der Fokus lag hauptsächlich auf den Rechten der Frauen und darauf, welche neuen Rechte ihnen durch den Friedensvertrag und die daraus folgende neue Gesetzgebung zukommen. Zu Beginn stellte Monica (Name geändert), die den Workshop leitete, in einer soziometrischen Aufstellung mehrere Fragen, und die Frauen positionierten sich je nach Antwort an eine andere Stelle im Raum. Zum Beispiel: Wer von euch hat Kinder? Wer die Frage mit Ja beantworten kann, stellt sich bitte auf die rechte Seite, wer sie mit Nein beantworten kann, bitte auf die linke Seite. Nachdem die harmloseren Kennenlern-Fragen abgearbeitet waren, näherten wir uns der eigentlichen Materie. Welche der Anwesenden würde sich als Opfer des Konflikts bezeichnen? Wer wurde durch den Konflikt vertrieben? Und so ging es immer weiter. Irgendwann stellte Monica eine Frage, welche ich mich nicht getraut hätte, zu stellen: Wer von euch war schon einmal Opfer sexueller Gewalt?

Etwa die Hälfte der anwesenden Frauen beantwortete diese Frage mit „Ja“. Darunter waren Frauen jeden Alters, und offenbar keine in der Gruppe erstaunt darüber, dass so viele Frauen Opfer sexueller Gewalt waren oder es immer noch sind.

Der Friedensvertrag von 2016 beinhaltet unter anderem eine spezielle Gesetzgebung für Frauen und spezielle rechtliche Regelungen für Gewalt, welche von Parteien des Konflikts verübt wurden. Dabei geht aus Art. 45 Abs. 1 des Friedensvertrages hervor, dass Vergewaltigung und sexuelle Gewalt von Strafmilderung ausgenommen sind.

Die Täter werden also vor nationalen Gerichten und nach nationaler Gesetzgebung verurteilt, auch wenn sie Teil der FARC-Guerilla waren, der bei sonstigen Verbrechen teilweise Straffreiheit oder Strafmilderung gewährt wird.
 Das Problem ist, dass jedes der Opfer einzeln die erlittene Gewalt bei der Polizei melden, den Täter identifizieren und mehrere Aussagen abgeben muss, damit dieser vor Gericht gestellt wird.

Gemäss eines Reports von Amnesty International von 2012[1] ist das Rechtssystem Kolumbiens auf dem Papier zwar ein sehr fortschrittliches, trotzdem ist aber die Zahl der Anzeigen, die im Sande verlaufen und in denen nie eine Verurteilung ausgesprochen wurde oder in denen es zwar ein Urteil gibt, dieses aber nie vollstreckt wurde, sehr hoch.

Abgesehen von der psychischen Belastung, die die Frauen aushalten müssen, um einen solchen Prozess durchzustehen, müssen sie also gleichzeitig immer damit rechnen, dass der Täter am Ende nicht verurteilt wird oder trotz eines Urteils sein normales Leben weiter leben kann.

Aus dem Amnesty Report geht hervor, dass ein grosses Problem des kolumbianischen Rechtssystems der Schutz der Opfer ist. Die Opfer, welche sich dazu entscheiden, ihren Peiniger anzuzeigen werden dadurch dem Risiko von Bedrohungen ausgesetzt. Es gibt zwar staatliche Schutzmechanismen für Opfer. Diese sind jedoch oft viel zu aufwändig zu erhalten, nicht wirklich effizient und haben oft auch den Anschein eine Feigenblatt-Funktion zu erfüllen.

Text: Sophia Zademack


Bildlegende: Frauen auf Mural in Las Pavas © PAS

Als kleine Impression ein Video aus dem oben beschriebenen Workshop mit Frauen aus den von PWS begleiteten Gemeinschaften. Unsere Partnerorganisation PAS führt zusammen mit Protection International solche Workshops mit Frauen der Region durch, mit dem Ziel diese sozial und politisch zu stärken und Strategien zu entwickeln um sich selber besser schützen zu können.

Video: Sophia Zademack und Nathalia Herrero, 10 Juni 2018, Kolumbien, PWS.

Ein weiterführender Artikel zum Thema Einbezug von Frauen und Berücksichtigung der Genderperspektive in den Friedensverträgen im Artikel:

Die Frauen und der Friede in Kolumbien von Ann-Seline Fankhauser der ask!

[1] Amnesty International 2012, Colombia: hidden from Justice; Impunity for conflict related sexual violence, a follow up report

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