In ihrem Beitrag vom 6. November 2016 berichteten die Freiwilligen von PWS über die Situation der Anführerinnen, der durch die Folgen des Wasserkraftwerks Hidrosogamoso negativ betroffenen Dorfgemeinschaften. Zu dieser Zeit wurde eine mögliche Begleitung durch PAS/PWS evaluiert. Mittlerweile ist daraus eine regelmässigere Begleitung entstanden. Konkret werden heute die Frauen des Movimiento Social en Defensa del Río Sogamoso y Chucurí in ihrem Kampf um ihr Recht und für Gerechtigkeit durch die beiden Organisationen begleitet. Wie im Fall der anderen Gemeinschaften bedeutet dies, ihre Anliegen und Nöte im In- und Ausland sichtbar zu machen, sowie die physische Begleitung z.B. bei Behördengängen, zu Treffen mit anderen Organisationen oder zu Anlässen. (Zu einem späteren Zeitpunkt möchten wir in diesem Blog berichten, wie es den Frauen heute geht, wo sie in ihrem Kampf stehen und wie sie ihre Zukunft sehen. Dafür werden wir eine der Leaderinnen besuchen und interviewen).
Ein solcher Anlass fand vom 8. – 12. Oktober 2018 in Barrancabermeja in Form des 2. Nationalen Treffens des Movimiento Colombiano Ríos Vivos statt, ein nationales Netzwerk, an welches fünf weitere regionale Organisationen und Initiativen, unter anderem das oben genannte Movimiento Social en Defensa del Río Sogamoso y Chucurí, angeschlossen sind. Die ungefähr 300 teilnehmenden Bäuerinnen, Fischer, Goldwäscherinnen sowie im Sozial- und Umweltbereich aktiven Leaderinnen und Leader aus allen Winkeln Kolumbiens und die Delegierten des Movimiento de Afectados de Represas (MAR) aus 15 lateinamerikanischen Ländern haben eines gemeinsam: Sie sind von den negativen Auswirkung eines Wasserkraftwerks betroffen.[1] Unter dem Motto «Energie für wen, wofür und zu welchem Preis» wurden Erfahrungen im Kampf gegen das herrschende Bergbau- und Energiemodell ausgetauscht und die ganz klare Forderung nach einer gerechten, integrativen Energiewende gestellt.
Im Vorfeld der Tagung trafen sich die für die Sicherheit Zuständigen jeder teilnehmenden nationalen Organisation zu einem dreitägigen Workshop im Dorf La Playa am Ufer des Río Sogamoso. Er wurde von SweFOR (Swedish Fellowship of Reconciliation) und PAS durchgeführt und auch wir von Peace Watch waren mit dabei, da wir den Grossanlass, zusammen mit zwei Mitarbeitenden von SweFOR, begleiten würden, um internationale Präsenz zu markieren und allfällige Sicherheitsvorfälle zu dokumentieren. Ziel des Workshops war es, ein Sicherheitsprotokoll und einige Verhaltensregeln zu erarbeiten, um kritische Situationen zu vermeiden, welche eine Gefahr für das Leben und die Integrität der Menschenrechts- und UmweltaktivistInnen bedeuten könnten. Denn leider hat sich in Kolumbien die Situation jener Menschen, die sich in ihrem näheren oder weiteren Umfeld für das Gemeinwohl einsetzen und ihre Rechte einfordern, in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Eigentlich müssen sie ständig mit verbalen, wenn nicht physischen Attacken oder gar Entführung rechnen. Deshalb war es sehr wichtig, dass sich die OrganisatorInnen des Grossanlasses, die schliesslich allesamt VerteidigerInnen der Menschen- und Grundrechte sind, Gedanken über mögliche Szenarien machten und die Vorgehensweise bei einem Zwischenfall definierten. Was tun z.B., wenn unbekannte Personen auf das Tagungsgelände kommen und Fotos der Anwesenden machen? Wer gibt Interviews? Wie wird vermieden, dass unbemerkt Gegenstände (z.B. Waffen) deponiert werden? Wie sich verhalten, wenn die Polizei auftaucht um die Teilnehmenden zu filmen, aggressiv wird, provoziert? Eine Knacknuss würde die für den letzten Tag der Tagung geplante Kundgebung durch die Stadt sein, denn da war alles möglich – von der Räumung mit Tränengas bis hin zu Verhaftungen. Die Stadtverwaltung erteilte den OrganisatorInnen zwar die Bewilligung für den Umzug, die Erfahrung hat aber schon oft gezeigt, dass dies nicht unbedingt etwas nützen muss, wenn die Mächtigen ihre Hebel in Bewegung setzen.
Wir hatten also gemischte Gefühle nach diesen drei Tagen und hofften, dass es zu keinen schlimmeren Zwischenfällen oder Konfrontationen kommen würde. Zwar hatten wir in keinem Moment das Gefühl, selber in Gefahr zu sein, es ist jedoch etwas ganz anderes, über mögliche Gefahren zu sprechen, als selber einen solchen Moment mitzuerleben. Unsere Aufgabe während des Anlasses würde es sein, das Organisationskomitee von der Unterkunft zum Tagungsort zu begleiten und am Abend wieder zurück. Tagsüber würden wir mit unseren grünen PWS-Gilets präsent sein, uns auf Hördistanz begeben, falls es zu Diskussionen zwischen Unbekannten und den Teilnehmerinnen oder den Wachmännern käme und das ganze fotografieren und dokumentieren.
Wir freuten uns, dass der Anlass am Montag endlich beginnen und waren gespannt, ob alles klappen würde; als gut organisierte SchweizerInnen hatten wir da nämlich so unsere Zweifel. Gelinde gesagt herrschte im Vorfeld ein ziemliches Durcheinander und etliche organisatorische Punkte wurden erst auf den letzten Drücker geregelt. So fehlten z.B. noch Schlafmöglichkeiten für einige Teilnehmende und die Bewilligung für die Kundgebung stand bei Tagungsbeginn noch aus. Doch dank der “Zauberkräfte“ des Organisationskomitees und der legendären kolumbianischen Gelassenheit konnten dieses und noch andere Probleme rechtzeitig gelöst werden. Es würde jedenfalls eine sehr interessante Woche werden. Wir waren neugierig darauf, was die Menschen aus ihren Dorfgemeinschaften berichten würden, was die eingeladenen Politiker zu sagen hatten und zu hören, wie sich die Umwelt-ExpertInnen eine Energiewende in Kolumbien vorstellten.
An den ersten beiden Tagen stellten sich die Delegationen vor und berichteten, wie sich ihre Lebensbedingungen seit des Baus des Staudamms verändert haben. Da war z.B. eine Frau, die auf traditionelle, handwerkliche Art und Weise Gold wäscht. Sie erzählte, sie und ihre Familie hätten früher gut von ihrem Handwerk leben können. Heute, da der Fluss gestaut ist, finden sie und ihre MitstreiterInnen nicht mehr genug Gold um zu überleben. Die vielen anwesenden Fischer wiederum beklagten den massiven Rückgang des Ertrages, einerseits weil sich die Wasserqualität seit der Errichtung des Kraftwerks stark verschlechtert hat, was zu Fischsterben oder Abwanderung einiger Arten führte, andererseits sei das Fischen wegen der Regulierung der Wassermenge nur noch zeitweise möglich.

“Die Regierung vertreibt die Bauern, platziert Ausländer, die unsere Ressourcen stehlen, das Volk spalten. Lasst uns in Frieden leben.”
Die KleinbäuerInnen wiederum kämpften ums Überleben, seit sie wegen der Überflutung ihres Landes vertrieben wurden und vom Kraftwerkbetreiber mit einem eher schlechten als rechten Ersatzstück Land abgespiesen wurden. Dabei müssen sie sich noch glücklich schätzen, denn es gibt auch viele Menschen, die nach Jahren immer noch auf eine Substituierung warten. Sie alle tauschten ihre Erfahrungen im Kampf gegen weitere, geplante Grossprojekte aus oder darüber, wie sie gezwungenermassen gelernt haben, mit der neuen Situation umzugehen. Die verschiedenen WortführerInnen riefen dazu auf, sich mit aller Kraft gegen alle geplanten zusätzlichen Megaprojekte zur Energiegewinnung (dazu gehört neuerdings auch das Fracking) zu wehren. Es sei an der Zeit, dass die Regierung einen alternativen Entwicklungsplan für die Energiegewinnung erarbeite, einen Plan, der die erneuerbaren Energien nutzt, der Bevölkerung dient und sie nicht ein weiteres Mal zu Opfern macht2. Ausserdem zeigte der Koordinator von Ríos Vivos auf, was sich seit dem 1. Treffen, das vor sechs Jahren stattfand, verändert und wie sich die Organisation weiterentwickelt hat.
Im weiteren Verlauf der Tagung kamen die Wissenschafter zu Wort. Sie forderten, es müsse ein Nationaler Energiefonds gegründet werden, finanziert durch Mittel der nationalen Ölgesellschaft Ecopetrol. Weiter müsse sich Ecopetrol von der reinen Ölgesellschaft zu einem nationalen Energieunternehmen wandeln und den Prozess der Energiewende übernehmen, damit diese zu einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit werde. Er erklärte dem Publikum, was der Begriff «Energiewende» eigentlich bedeutet, nämlich dass die Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen, wie Erdöl, Gas und Kohle, durch erneuerbare Quellen, wie Sonne, Wind, Biomasse, Geothermie oder Wasserkraft im Kleinformat ersetzt werde. Zudem soll die Energiegewinnung dezentralisiert werden, damit die bestehenden Ökosysteme berücksichtigt und auf die regional sehr unterschiedlichen klimatischen, topographischen und geologischen Bedingungen eingegangen werden könne. Auch seien die Bedürfnisse der Bevölkerung sehr unterschiedlich. Die Ausgangslage sei klar: Energie ist fundamentales Recht für alle.
Was unserer Meinung nach bisher noch zu wenig zur Sprache kam, war das Thema Energie sparen, resp. Ressourcen schonen. Vielen Menschen, vor allem den Angehörigen der Mittelschicht, fehlt dafür komplett das Bewusstsein. Der pausenlos eingeschaltete Fernseher oder der minutenlang offen stehende Kühlschrank z.B. stehen für sie nicht im Zusammenhang mit Energieverschwendung. So waren wir denn froh, als am dritten Veranstaltungstag einer der Sprecher mahnte, dass wir Menschen mit unserem ungezügelten Konsumverhalten schon heute die Energie der künftigen Generationen aufbrauchten. Er bemerkte weiter, dass eine Energiewende nur mit einem Wechsel des Wirtschaftsmodells und einem Umdenken beim (Energie-)Konsum möglich sei.
Am zweitletzten Tag des Treffens fand eine öffentliche Anhörung statt, an welcher ein Vertreter des Ministeriums für Bergbau sowie einer der Planungseinheit für Energie und Bergbau teilnahmen, beides Abgeordnete des Kongresses der Landesregierung und Mitglieder des Energieausschusses. Die Anhörung wurde von einem Kongressmitglied der in der Präsidentschaftswahl unterlegenen Partei Colombia Humana koordiniert. Ziel war es, Stimmen und konkrete Ideen für die Umsetzung der Energiewende einzufangen, in der Hoffnung, diese auf nationaler Ebene zu platzieren, zu fördern und ein Umdenken bei der Energieproduktion herbeiführen zu können. Der Politiker betonte, dass es Organisationen, die wie Ríos Vivos gegen das rein kapitalistische Energiesystem und private Interessen kämpfe, unbedingt brauche. Auch brauche es eine bessere Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen um eine breitere Abstützung in der Bevölkerung zu erreichen, denn saubere Energie müsse zum Anliegen aller werden. Zum Schluss unterstrich er, man dürfe nicht darauf warten, dass sich die Politiker änderten damit sich im Land etwas ändere. Das Land habe 2018 bereits einen Wandel vollzogen, es gebe keine Umkehr mehr. (In Anspielung auf das gute Abschneiden des linken Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro).
In der Debatte gibt einer der Teilnehmer zu bedenken, dass der Staat Steueranreize schaffe, um ausländische Investoren anzulocken, hauptsächlich transnationale Energiefirmen und Minengesellschaften. 70% der direkten ausländischen Investitionen fliessen denn in den Bergbau. Da die Investoren keinerlei Verpflichtungen eingehen müssten, bleibt nur ein kleiner Teil des Gewinns im Land und wird reinvestiert. Der grosse Rest fliesst zurück an die Muttergesellschaften im Ausland. Durch dieses System entgingen dem Staat pro Jahr 80 Milliarden Pesos (knapp 26 Mio. Schweizer Franken) und führe zu einem Defizit in der Staatskasse. Im Land zurück blieben jedoch die vielen Tausend Vertriebenen und die immensen Umweltschäden, die z.B. der intensive Bergbau verursacht und wofür die Konzerne nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Und da war auch noch die schon etwas ältere campesina, die von den Politikern wissen wollte, ob es gerecht sei, dass sie als Privatperson mehr für den Strom zahlen müsse als ein Grossunternehmen..
Die beiden Vertreter der Regierungsorganisationen ihrerseits wollten keine offiziellen Statements abgeben. Sie äusserten jedoch, die Regierung habe tatsächlich die Absicht, die Energiematrix zu diversifizieren. So soll das Land auf technokratische Weise in Energieregionen (je nach Eignung) aufgeteilt und die Lizenzen für die Energiegewinnung dann an den Meistbietenden versteigert werden. Die Energie stünde dann also wieder nicht, wie an diesem Anlass gefordert, der Gesellschaft zur Verfügung, sondern bliebe weiterhin in Privatbesitz und ein Handelsgut, das Gewinne erzielen muss.
Nach diesen langen Stunden der Debatten und wegen der schier unerträglichen Hitze unter dem Eternit-Dach waren wir am Ende des Tages alle ziemlich erschlagen und nachdenklich. Da kamen die Gesangs- und Tanzeinlagen der Jugendlichen aus dem Departement Cauca gerade richtig, wir alle brauchten dringend eine Stimmungsauflockerung.
Am Abend fand am Unterkunftsort unter dem Titel Ritmos y Sabores ein kultureller Austausch und ein Markt statt. Jede Region bereitete traditionelle Speisen zu und es wurde musiziert und getanzt. Ausserdem fanden sich einige campesinos zum Austausch von Saatgut zusammen.
Es war erstaunlich und erfreulich zu sehen, wie viele Sorten Mais und Bohnen es gibt. Es wurde gefachsimpelt und Erfahrungen mit dem Anbau der bestimmten Sorten ausgetauscht und man war sich einig, dass niemals genmanipuliertes Saatgut auf ihre Äcker kommen würde. So wanderten denn Maiskörner aus dem Departement Antioquia im Austausch gegen Gerste in den Huila und Bohnen aus dem Cauca wurden mit Weizen aus Nariño getauscht. Auf diese Weise ging dieser Tag dann doch noch in fröhlicher und zuversichtlicher Stimmung zu Ende.
Am letzten Tag fand dann der von Vielen mit Spannung erwartete Umzug durch die Stadt statt. Die Bewilligung dafür wurde den VeranstalterInnen kurz zuvor erteilt. Ein Pickup, bestückt mit grossen Lautsprechern und Megafon, würde die Demo anführen. Die Idee war es ja, die Botschaften möglichst lautstark in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Delegationen wurden dahinter in drei Reihen aufgestellt und jede trug zuvorderst ihr Transparent. Auf beiden Seiten standen in regelmässigen Abständen Männer der guardia, die dafür Sorgen würden, dass niemand von aussen in den Zug eindringt um zu stören und an den Kreuzungen würden sie dafür Sorgen, dass der Verkehr anhält. Alle wurden nochmals punkto Verhalten gebrieft. Man wollte Aufmerksamkeit erregen, aber im positiven Sinn. Der Zug setzte sich dann mit der minimalen Verspätung von einer Stunde Richtung Innenstadt in Bewegung.
Wir Internationalen positionierten uns gemäss den internen Weisungen in ausreichendem Abstand, aber so, dass wir trotzdem gut filmen und fotografieren konnten. Nach knapp 500 Metern auf wenig befahrener Strasse präsentierte sich die erste Hürde in Form eines Polizeipostens. Es konnte gut sein, dass sich hier trotz Bewilligung plötzlich 20 Polizisten aufpflanzten um die Demonstration unter irgend einem fadenscheinigen Grund zu stoppen. Zu unserer Erleichterung geschah jedoch nichts dergleichen. Am Ufer des Magdalenaflusses angekommen, bemerkten wir Personen, die das Geschehen aufmerksam beobachteten und Fotos machten. Wir fanden, dass es nicht schaden könne, von diesen Leuten auch Fotos zu schiessen, nur so für den Fall. Der Protestmarsch verliess das Ufergebiet nun über eine recht befahrene Strasse und wir bekamen ein ungutes Gefühl. Nach wenigen Metern bildete sich hinter dem Zug nämlich eine Verkehrskolonne und alle darin begannen wie wild zu hupen. Klar, es war rush hour, alle waren gestresst und wollten nach Hause. Man konnte sich gut vorstellen, dass einer Fahrzeuglenker ausflippen und sich zu weiss was hinreissen lassen würde. Für die TeilnehmerInnen der Demo war das aber überhaupt kein Grund zur Aufregung. Sie verbreiteten weiter ihre Botschaft und skandierten ihre Parolen. Plötzlich bemerkten wir, wie am Schluss des Zuges mehrere Polizisten auf Motorrädern und in einem Pickup auftauchten. Kamen sie um die Demo aufzulösen? Wie würden die etwas leicht reizbaren Männer der guardia reagieren, wenn das der Fall wäre? Wir wussten, dass das wüste Szenen geben könnte, zückten sofort die Kameras und waren auf alles gefasst. Zu unserem grössten Erstaunen stellten wir aber fest, dass die Polizei für dieses Mal in guter Absicht unterwegs war. Sie leiteten den Verkehr um und sorgten an den Kreuzungen dafür, dass alle anhielten. Und das sogar, ohne genervt oder unfreundlich zu wirken. Wir waren mehr als erstaunt und sehr erleichtert! Sie begleiteten den Zug bis zum Parque a la Vida, wo der Protestmarsch
seinen Schluss fand und blieben auch noch während der Verlesung der Manifeste.
Wir BegleiterInnen entspannten uns langsam, als nach etwa eineinhalb Stunden die TeilnehmerInnen nach und nach in ihre Busse stiegen und zurück in die Unterkunft fuhren und das 2. Nationalen Treffen des Movimiento Colombiano Ríos Vivos somit zu Ende ging. In den Gesprächen mit den OrganisatorInnen erfuhren wir, dass sie insgesamt sehr zufrieden waren mit dem Verlauf der Tagung. Sie hätten ihrer Botschaft Nachdruck verleihen können, seien sich aber schon bewusst, dass es noch ein langer, steiniger Weg zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft sei, der Wille, dafür zu kämpfen sei aber stärker denn je.
Das Treffen habe so viele Menschen mit dem gleichen Anliegen und mit grossem Kampfgeist zusammengebracht, das verleihe neuen Antrieb. Diese Worte und die spürbare Überzeugung der Leute stimmten auch uns wieder etwas zuversichtlicher. Wir begleiteten das Organisationsteam noch ein letztes Mal zur Unterkunft, wo sie sich endlich ihr wohlverdientes Poker genehmigen konnten. Die Müdigkeit stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben und einige waren heiser vom lauten Skandieren. Mit einer Umarmung verabschiedeten wir uns von den vielen Menschen, mit denen wir im Verlauf der Woche ins Gespräch gekommen waren. Uns blieb nur noch, ihnen zu ihrer guten Arbeit an dieser Tagung zu gratulieren und ihnen Kraft für den weiteren Kampf für Gerechtigkeit zu wünschen.
Punkto Sicherheit konnten wir ihnen zurückmelden, dass wir im Grossen und Ganzen zufrieden waren darüber, wie das Protokoll eingehalten wurde. Nur an den ersten beiden Tagen gab es je einen kleinen Zwischenfall. Den Wachleuten fielen Männer auf, die versuchten, sich unter das Publikum zu mischen, ohne sich auf der Teilnehmendenliste eingetragen zu haben.
Als man sie aufforderten sich zu identifizieren, verliessen sie das Gelände sofort wieder. Man spekulierte nicht weiter darüber, wer sie gewesen sein mochten oder wer sie geschickt haben könnte. Es wurde aber klar, dass die Bewachung des Anlasses ernst genommen werden musste. Von da an wurden die Wachleute anders verteilt, sodass es praktisch unmöglich war, sich vor der Registrierung zu drücken. Dass es an der Tagung selber zu keinen direkten Bedrohungen gegen die Organisationen und deren AnführerInnen kam, heisst aber nicht, dass sie für ihre weitere Arbeit und ihren Einsatz nicht unter Beschuss geraten. Tatsache ist nämlich, dass zwei Gründungsmitglieder von Ríos Vivos Antioquia mittels eines von einer paramilitärischen Gruppierung verfassten Pamphlets nur Tage später Todesdrohungen erhielten. Es kann nur darüber spekuliert werden, ob diese Drohungen als direkte Konsequenz auf die erfolgreiche Tagung ausgestossen wurden. Eines ist aber klar: Sich in Kolumbien für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen, kann tödlich sein.
Monika Stucki, Oktober 2018, Barrancabermeja
1 Aus Honduras war beispielsweise COPINH anwesend, eine seit lange mit PWS-Honduras befreundete Organisation von indigenen UmweltaktivistInnen, deren Leaderin die ermordete Berta Cáceres war.
2 Wo heute Wasserkraftwerke stehen, fand früher vielerorts der bewaffnete Konflikt statt. Damals wurden die Menschen von den diversen Akteuren von ihrem Land vertrieben und heute von Megaprojekten zur Energiegewinnung. Oder anders gesagt: Was die Guerrilla oder die Paramiltärs nicht geschafft haben, erledigen heute die Energiekonzerne.
Monika Stucki, Barrancabermeja, 6. November 2018
Fotos: Monika Stucki, PWS 2018