KOLUMBIEN. Die zwei Nichtregierungsorganisationen Peace Watch Switzerland (PWS) und Pensamiento y Acción Social (PAS) aus Kolumbien arbeiten seit 10 Jahren im Kampf für die Rechte der Bäuerinnen und Bauern zusammen. Als Menschenrechtsbeobachterinnen für PWS hatten Vera und ich die Möglichkeit, an einem wichtigen Workshop zur Analyse der Sicherheit und der Massnahmen des Selbstschutzes der Comunidades, der bäuerlichen Gemeinschaften, teilzunehmen.
PAS leistet, meist von Bogotá aus, wichtige analytische und administrative Arbeit für das Projekt mit PWS und die von ihnen begleiteten Comunidades. Wir als internationale Beobachterinnen von PWS geben ihnen dazu alle Informationen, die wir während unserer Zeit in den Comunidades zur Sicherheit und dem Wohlempfinden ihrer Mitglieder sammeln können. Alle paar Monate ist es ein allgemeines Anliegen, dass das Geschehene nicht nur im Büro, sondern vor allem auch mit den Campesin@s (den Bäuerinnen und Bauern der Comunidades) und den freiwilligen von PWS angeschaut und neu analysiert wird.
Dieses Mal sind Monica* und Laura* die Verantwortlichen von PAS, welche den Workshop durchführen. Ab neun Uhr trudeln die Campesin@s vor dem Haus von Juan* ein, suchen sich einen Plastikstuhl, sofern sie diesen nicht direkt selbst mitgebracht haben, und schwatzen was das Zeug hält. Die Stimmung vor der Sitzung ist gut. Es werden alte Geschichten erzählt, es wird gewitzelt und gelacht. Es ist ein Moment der gut tut, ausnahmsweise stehen nicht die Probleme des Prozesses und die harte Realität im Vordergrund. Die Lockerheit hat für einen schönen Moment die Überhand gewonnen.

Kurz vor zehn Uhr sitzen gut 15 Leute unter einem riesigen Baum, der für notwendigen Schatten sorgt, und Monica ergreift das Wort. Der Workshop beginnt. Sie fragt nach dem Führen des „Vorfall-Hefts“, welches dazu dienen soll, alle Zwischenfälle, die die Sicherheit der Campesin@s der beiden Comunidades gefährden, zu dokumentieren. Datum, Uhrzeit, Akteure und das Geschehene werden von den Campesin@s in diesem Heft gesammelt und geben so einen Überblick über die aktuelle Situation in der Region. Diese Vorfälle werden am Workshop nochmals erläutert, damit sie im Plenum diskutiert werden können. Das Ziel ist es, die Sicherheitsmassnahmen anzupassen. Die Vorfälle der letzten Monate können zu folgenden Punkten zusammengefasst werden: die Zunahme von Diebstählen seitens unbekannter Gruppen, die Präsenz und Zunahme von bewaffneten Gruppen (ELN, Paramilitär und weitere unbekannte Gruppen), die Comunidades als Korridor des Narcotráfico (Drogenanbau, –handel und -transport) und ein Anstieg des Microtráfico (Drogenhandel und –konsum) in der Region.
Monica betont mehrmals, dass jede Comunidad ein eigenes Sicherheitskonzept entwickeln muss. Denn was bei den einen funktionieren mag, gibt leider keiner anderen Comunidad die Garantie zur Verbesserung der eigenen Sicherheitslage. Jede Comunidad hat eine andere Geschichte, andere Voraussetzungen und wird mit anderen Akteuren und Herausforderungen konfrontiert. Die Situation ist aber nicht nur von Comunidad zu Comunidad unterschiedlich, sondern kann sich auch im Verlauf der Zeit stark verändern. Dies erklärt die Relevanz einer regelmässigen Aktualisierung der Sicherheitseinschätzung.
Während der Analyse der Zwischenfälle wird öfters das Handy als wichtiges Kommunikationsmittel, insbesondere das Benutzen von Whats App, genannt. Denn ein Punkt, in dem die Mitarbeiter*innen von PAS eine grosse Wichtigkeit sehen, ist das Verbreiten der Informationen über diese Zwischenfälle in den Comunidades. Jede(r) Campesin@, der/die in den Prozess verwickelt ist, soll über die Geschehnisse bezüglich der Sicherheit in Kenntnis gesetzt werden. Es ist nicht das erste Mal, dass Whats App als wertvolles Hilfsmittel erwähnt wird. Die technologische Isolation, welche das Leben auf dem Land hier oft mit sich bringt, hat sich so in den letzten Jahren enorm verringert. Das Kommunizieren, sei es mit den Anwält*innen, den Familienangehörigen, den Leuten der Comunidades, den unterstützenden Organisationen oder vielen weitern, wurde durch das Internet, konkret mit Whats App, ermöglicht und ist nicht mehr wegzudenken. Es vereinfacht nicht nur die Kommunikation, sondern bietet eine Plattform, um sich mit ähnlich Betroffenen zusammen zu tun und ein Netzwerk zu bilden.

Isabel*, eine Campesina, erwähnt nach einiger Zeit, dass zu wenige Anzeigen gemacht werden. Diese zu machen und registriert zu haben, macht die Campesin@s glaubwürdiger und kann eine Hilfe bei Prozessen sein. Leider ist das Ganze aber nicht so einfach. Für eine Anzeige müssen einerseits Kosten für den Transport, andererseits Energie und Mut vorhanden sein. Jemanden anzuzeigen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, persönliches Ziel von Gewaltausübung, Drohungen oder Beschädigung des Eigentums zu werden. Dazu kommt, dass in Kolumbien die Korruption tiefe und viele Wurzeln geschlagen hat. Wer also Geld hat, kommt schneller und einfacher ans Ziel. Oder in den Worten von Monica: Weiterzukommen dauert für die Reichen zwei Tage, für die Armen aber sind es tausend Jahre.
Als letzter Schritt wird das Erstellen einer Karte mit den Orten der Geschehnisse und Vorfälle definiert, mit welcher schliesslich eine entsprechende Analyse gemacht werden kann.
Der Workshop scheint vieles konkretisiert zu haben und die Campesion@s wirken zufrieden. Eine solche Sicherheitsanalyse ist ein wichtiges Instrument zur Stärkung des Selbstschutzes der eigenen Comunidad, damit in zukünftigen Notfällen angepasst und autonom gehandelt werden kann.
*Name geändert
Mélanie Schmutz, 31. August 2019, Barrancabermeja
Fotos: Vera Zürcher & Mélanie Schmutz (PWS)