Die Hoffnung stirbt zuletzt

KOLUMBIEN. Was machst du, wenn du müde bist? Nicht das „Müde“ von einem langen, anstrengenden Tag in der Arbeit, auf dem Feld oder im Haushalt, sondern das „Müde“, wenn es scheint, dass der innerste Energiespeicher geleert wurde oder aufgebraucht ist. Das „Müde“, das zu Tage tritt, wenn eine weitere Versammlung, eine erneute Aktion oder ein nächster Workshop nur noch aussichtslos erscheint. Was machst du, wenn du glaubst die Kraft zu verlieren weiter zu kämpfen?

Das ist eine Frage, die sich die meisten Menschen, die wir in ihren Dörfern begleiten, nicht nur einmal in ihrem Leben stellen, oder die nur am Horizont der Gedankenwelt auftaucht. Während sie ihr ganzes Leben dem Kampf um das Recht auf ein Stück Land widmen und jedes einzelnes Auf und Ab der juristischen Prozesse, der politischen Veränderungen und sozialen Bewegungen mitbekommen, beträgt unser Aufenthalt nur vier Monate. Vier Monate, in denen wir zwar mit all unseren Sinnen und Gefühlen an den Geschehnissen beteiligt sind und zu einem gewissen Grad auch das Bauernleben im Terrain kennenlernen, die aber dennoch nur wie eine einzelne Szene aus einem langen Theaterstück sind.

Anbau von Kochbananen

Und in diesem langen Theaterstück bleibt viel Platz für weitere Szenen, die fortwährend mit der Hoffnung, vieler Menschen spielen. Unter anderem auch mit der Hoffnung jemals eigenes Land und für dieses einen Titel zu besitzen. Wie die meisten Bäuerinnen und Bauern kämpfen auch die BewohnerInnen der Gemeinden El Guayabo und Bella Unión, in langen und komplizierten juristischen Prozessen um das Stück Land, welches sie nun seit fast 30 Jahren kultivieren. Teil dieses Prozesses ist der Besuch der Agencia National de Tierras, die nationale Institution zur Landvermessung, die sich um die Registrierung und Vermessung der einzelnen Grundstücke bemüht. Anfangs kündigte sich ihr Besuch wie ein Bote neuer Hoffnung an, da der Agencia nachgesagt wurde, sich zum Vorteil der Campesin@s zu entscheiden. Doch dann kam eine überraschende Entscheidung für Bella Unión: acht Grundstücke, für welche bereits der bürokratische Weg einer legitimen Titelübertragung bestritten wurde, stellten sich als staatliche Gebiete heraus. Als Teil eines Feuchtgebiets, für welches nach nationalem Recht kein Titel bestehen kann. Wie es zu dieser Entscheidung kam, wissen weder der Anwalt der Gemeinde noch Peace Watch Switzerland. Nach jahrelangen Kämpfen um Bleiberechte in der Region und der Rückkehr nach einer illegal ausgeführten Räumung durch die nationale Polizei, kommt nun ein weiteres Ereignis hinzu, welches die Hoffnung auf eine baldige Beendigung des Prozesses in weite Ferne rücken lässt. Wie viel Energie und Hoffnung bleibt den beiden Gemeinden, noch weiter für ihre Rechte zu kämpfen?

Palmölfrüchte in Las Pavas

Auch in Las Pavas scheint sich diese Frage repetitiv in die Köpfe der dort lebenden Personen zu schleichen. Haben sie seit der Vertreibung von ihrem Gebiet 2009 und der anschließenden Rückkehr wieder vermehrt Hoffnung auf ein friedliches Leben auf dem Land schöpfen können, scheint die Achterbahnfahrt der Hoffnung erneut zu beginnen. Mit jedem unserer Besuche hören wir Geschichten über die Präsenz neuer bewaffneter Gruppen, die durch das Dorf fahren oder sogar in diesem halten. Es macht den Eindruck, als würde eine Bedrohung durch das riesige Palmölunternehmen, welches seine Angriffe gegen die Einheimischen langsam reduziert, abgelöst werden durch neue bewaffnete Gruppierungen, die um Macht und Kontrolle in dieser Region buhlen. Seit über zehn Jahren bringen die Bäuerinnen und Bauern all ihren Mut und ihre Energie zusammen, um sich jeden Tag Paramilitärs und Großgrundbesitzern gegenüber zu stellen und mit Hoffnung auf bessere Zeiten weiter zu kämpfen.

Begleitung in Bella Unión

Also was ist nun die Antwort auf diese eine wichtige Frage? Was machst du, wenn du denkst, dass dir die Hoffnung im Kampf um deine eigenen Rechte verloren geht und du keinen Sinn mehr im andauernden Widerstand siehst? Vielleicht ist es da besser mit einer Gegenfrage zu antworten: Kann ich es mit mir schlussendlich selber vereinbaren, dass ich nicht mitgeholfen habe alles zu geben, um meiner Familie und meinen Kindern eine Zukunft zu geben? Kann ich am Ende des Prozesses mit gutem Gewissen zurückblicken und damit umgehen, dass ich nicht alles in meiner Macht stehende getan habe, um diesen zu Gewinnen und für meine eigenen Rechte einzustehen? Während also weiterhin beunruhigende Nachrichten und Neuigkeiten auftauchen werden und die Müdigkeit überhand nehmen kann, ist es wichtig sich bewusst zu werden, was einem den Mut und die Kraft gibt, am Morgen mit Freude auf den eigenen Anbau und die eigene Ernte zu schauen. Denn ein Bauer ohne Land, ist wie ein Fisch ohne Wasser.

Hannah-Milena Elias, 11. Dezember 2019, Barrancabermeja

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Fotos: © Nadine Siegle 2019

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