Angesichts der ersten Fälle von COVID-19 verhängte die honduranische Regierung am 14. März als erste Präventionsmaßnahme eine totale Ausgangssprerre. Nach drei Monaten wurden die Maßnahme allmählich flexibilisiert, während zugleich die Zahl der Ansteckungen wuchs; nach offiziellen Angaben erreichte sie im Juni 8000 Personen bei 300 Todesfällen. Diese Zahlen werden von sozialen Organisationen und der Bevölkerung hinterfragt. Sie verweisen darauf, dass die ungenügende Anzahl von Tests nicht den wirklichen Umfang der Pandemie im Land widerspiegelt.
Nach dem Urteil vieler Honduraner*innen haben sich die Präventivmaßnahmen bis heute als ineffizient herausgestellt. Bekanntgewordene Fälle von offensichtlicher Korruption im Zusammenhang mit der Beschaffung von Schutzmaterial und der Verteilung von Hilfsgütern haben weiter Misstrauen erzeugt. Verarmte, indigene und bäuerliche Gemeinden und Familien, die ohnehin an Diskriminierung, struktureller und physischer Gewalt und staatlicher Vernachlässigung leiden, sind am stärksten von der Epidemie, dem schlechten Management und korrupten Machenschaften betroffen.
Besonders schlimm wirken sich die Konsequenzen der Pandemie und der getroffenen Massnahmen auf die Ernährungssituation der Menschen aus. Um ihrer Arbeit nachkommen und Einkommen generieren zu können, sind sie auf Bewegungsfreiheit angewiesen. Nur so können sie sich und ihre Familen ernähren. Aus den Gemeinden, die wir begleiten, hören wir immer wieder die Klage über eine selektive Verteilung von Lebensmitteln und über offensichtliche Korruption bei der Beschaffung der Güter, die verteilt werden sollen. Diese Handlungsweisen widersprechen den Empfehlungen, wie sie von Dainius Puras, Sonderberichterstatter der UNO über das Recht auf physische und geistige Gesundheit und zur Implementierung von COVID-Notmassnahmen ausgesprochen wurden.[1] In diesem besorgniserregenden Panorama haben verschiedene von uns begleiteten Gemeinden Aktivitäten zur eigenen Ernährung entwickelt. Ihre Aktionen sind je nach Gebiet unterschiedlich, gemeinsam sind ihnen aber die Solidarität und Empathie für die anderen sowie das Bewusstsein, dass in dieser Krise nur ein gemeinschaftliches Handeln wirksam sein kann.
So hat sich etwa der Indigene Rat der Lenca in Reitoca (Consejo Indígena Lenca de Reitoca CILR) der Not von besonders verletzlichen Gruppen älterer Menschen in der Gemeinschaft, aber auch derer von Bewohner*innen von sehr abgelegenen Siedlungen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die gegen den geplante Staudammprojekt auf ihrem Land Widerstand leisten, angenommen. Die Gemeinde lebt vorwiegend vom Verkauf der selbstproduzierten Landwirtschaftsprodukte, die sie auf den Mark bringen. Nach Sammelaktionen und Spenden in der ganzen Gemeinde hat der CILR nun selber Lebensmittel eingekauft und an ausgegrenzte Betroffene verteilt. Ähnlich ist die Basisroganisation Asociación par el Desarollo de la Península de Zacata Grande (ADEPZA) vorgegangen. Die Menschen auf der Halbinsel leben vorwiegend von der Fischerei und der Krabbenzucht. Auch dort blieben zahlreiche Familien von den staatlichen Lebensmittelprogrammen ausgegrenzt, und die ADEPZA organisiert die Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln innerhalb der Gemeinschaft.

©MADJ : Kollektive Pflanzungen im nördlichen Honduras
Das Bündnis für Würde und Gerechtigkeit (Movimiento Amplio por la Dignidad y la Justicia, MADJ) organisierte im nördlichen Honduras gemeinschaftliche Produktionsweisen. Im kollektiven Anbau werden traditionelle Grundnahrungsmittel wie Maniok, Bohnen, Kochbananen angebaut – je nach verfügbarer Fläche und Topographie. Die Ernten werden nicht zum Markt gebracht, sondern zwischen den unterschiedlichen Gemeinden geteilt und ausgetauscht. Diese subsistente Praxis nennen sie “Ernährungssouveränität mit Würde”. Damit geben sie eine eigenständige Anwort auf die Auswirkungen der Pandemie, die ihnen trotz aller Widrigkeiten auch Kraft zurückgibt. Mit ihren Aktionen belegen sie uns die Notwendigkeit, neue Lebensformen, neue Formen sozialer Bande wiederherzustellen oder zu schaffen, sowie solidarischere Projekte und ökonomische Modelle zu denken, welche das Land und die Souveränität respektieren. Die kollektive Kraft ist die Grundlage für eine solche Praxis, und die Gemeinschaft ist der Ort, an dem sie sich entwickeln kann.
Evelina Vargas, Tegucigalpa, Juni 2020. Übersetzt von Daniel Stosiek.
Evenlina Vargas ist internationale Menschenrechtsbeobachterin in Honduras. Daniel Stosiek, internationaler Menschenrechtsbeobachter, arbeitet zurzeit aus Berlin für PWS.
[1]Der Berichterstatter formuliert: “Eine breitere Beobachtung der sozialen Antwort wird nicht nur zur Folge haben, dass die Maßnahmen gegen Covid-19 gerechter werden, sondern auch, dass sie effizienter, wirkungsvoller und transparenter sein werden.” Der Artikel (Spanisch) ist verfügbar unter
https://oacnudh.hn/las-medidas-de-covid-19-deben-basarse-en-primer-lugar-en-el-derecho-a-la-salud/
Titelbild: ©MADJ : Kollektive Pflanzungen im nördlichen Honduras