Unsere Vision einer Geschlechtergerechtigkeit wird verbindlicher 

Artikel von Heide Trommer, Menschenrechtsbegleiterin von Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras

Tegucigalpa, Honduras, im Februar 2022

„Richtet sich eure Gender Politik nur an Frauen?“, war eine der ersten Fragen, die uns gestellt wurden, als wir Anfang Februar 2022 begannen, unsere neu ausgearbeitete Gender Politik den von uns begleiteten Organisationen vorzustellen. „Nein, diese Politik soll für alle Geschlechter gelten.“ „Ah interessant, wir werden sie diskutieren und zwar erst die Frauen und Männer getrennt, in ihren jeweiligen Gruppen, und danach besprechen wir das Ganze gemeinsam. Bei eurem nächsten Besuch werden wir euch das Ergebnis unserer Beratungen mitteilen.“

Hintergrund 

PWS ist keine Organisation, die sich explizit mit Frauen- und Genderfragen befasst. Dennoch sahen wir angesichts verschiedener Vorkommnisse in unserem Umfeld die Notwendigkeit zur Entwicklung einer in stitutionellen Gender Politik. Insbesondere die Frauen im Team nahmen immer wieder offene und ver deckte Gewalt gegen Frauen und sexuelle Belästigungen wahr. So pfiffen z.B. Männer weiblichen Begleitpersonen nach einem Einsatz bei einem abendlichen Spaziergang durch das Dorf hinterher. Darauf angesprochen, räumten sie schnell ein, dass sich das nicht gehöre, dass sie verstehen, dass dies Frauen belästige und sie das zukünftig bleiben lassen werden. So kamen wir im Einzelfall und im Gespräch schnell zu einer guten Lösung. Uns wurde die Notwendigkeit einer Sensibilisierung für das Thema deutlich.

Auch in den begleiteten Organisationen nahmen wir Gewalt gegen Frauen wahr. Eine der von uns begleiteten Frauen wurde immer wieder von ihrem ebenfalls der Organisation angehörenden Mann verprügelt. Dies erwähnte sie am Rande eines Gerichtsprozesses gegenüber einer unserer Begleiterinnen. Nach Team-internen Klärungsprozessen und Rücksprache mit der Leitung der Organisation, in der wir unsere Beweggründe deutlich machten, brachen wir die Begleitung des Mannes ab und konzentrierten uns ausschließlich auf die Begleitung der Frau. 

Auch können wir nicht ausschließen, dass von uns selbst sexuelle Belästigung oder Gewalt ausgehen. 

Daher ist es hilfreich, eine mit den Gemeinschaften und Organisationen abgestimmte Gender Politik zu haben, auf die wir oder sie sich beziehen können. Alle verfügen jetzt über ein Instrument, das darüber orientiert, wie wir uns im Falle von sexueller Belästigung oder Gewalt verhalten können.

Gewalt gegen Frauen ist eine Menschenrechtsverletzung 

Trotz aller feministischen Kämpfe und Bemühungen seit mehr als einem Jahrhundert kommt Gewalt ge-gen Frauen, die eine Verletzung der Menschenrechte darstellt, weiterhin überall auf der Welt vor. 

Allein in Deutschland mit seinen ca. 83 Mio. Einwohner*innen zählten die Behörden nach Angaben des Bundeskriminalamtes 2020 bundesweit 146.655 Fälle, in denen ein aktueller oder ehemaliger Partner Gewalt gegen seine (Ex-) Frau ausübte oder dies versuchte. 169 Frauen wurden 2020 Opfer von tödlicher Partnerschaftsgewalt1. In der Schweiz mit ihren annährend 9 Mio. Einwohner*innen wurden 2020 nach dem Ersten Staatenbericht der Schweiz zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) 28 Frauen von Ihren (Ex-)Partner*innen getötet2, Honduras mit etwa 10 Mio. Einwohner*innen registrierte im Jahr 2020 nach Medienangaben 278 gewaltsame Todesfälle von Frauen3. Die honduranische, international anerkannte Frauenrechtsorganisation Centro de Derechos de Mujeres meldet für das Jahr 2021 342 gewaltsame Todesfälle von Frauen, außerdem registrierte das Nationale Notrufsystem 46.016 Meldungen über häusliche Gewalt und 61.450 Meldungen über innerfamiliäre Gewalt.4 Allein in einem Monat (Januar 2022) wurden in Honduras zwölf Frauen umgebracht.5 In der Nacht, in der dieser Artikel geschrieben wird, wurden eine junge Frau und zwei Männer aus der schwul-lesbischen Szene aufgrund ihrer sexuellen Orientierung getötet. 

So stößt unsere Gender Politik bei den Organisationen auf großes Interesse, und sie löst Diskussionen aus. 

„Nein, es ist nicht normal, dass Mädchen in unseren Gemeinschaften, wenn sie ihren 15. Geburtstag gefeiert haben, vergewaltigt werden, oft von alten Männern aus der eigenen Familie. Und doch kommt es immer wieder vor. Meist werden die Missbräuche nicht angezeigt, und wenn sich eine junge Frau trotz aller Scham und Angst, wieder zum Opfer zu werden, doch traut, Anzeige zu erstatten, wird kein Verfahren eröffnet. Wie überall, ist auch hier die Straffreiheit hoch. Oft werfen sogar die Mütter ihren Töchtern vor, sie hätten „das“ durch ihr Verhalten und ihre kurzen Röcke selbst provoziert.“ 

„Ich erinnere mich, dass wir anfangs nur vier Frauen waren. Nach und nach schlossen sich uns immer mehr Frauen an. Weitere Spielräume öffnen sich langsam. Wir müssen Verpflichtungen zum Schutz der Frauen eingehen. Wir dürfen unsere Räume nicht opfern, sondern müssen sie verteidigen.“, so Frau X von Palagua, einem Netzwerk von mehreren Organisationen in Guajiquiro, einem kleinen Dorf, 150 km von Tegucigalpa entfernt, das gegen ein Wasserkraftwerksprojekt protestiert.

Inhalt der Gender Politik und weiteres Vorgehen

Seit Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras 2018 ihre internationale Begleitarbeit mit Menschenrechtsverteidiger*innen, lokalen Organisationen und Gemeinschaften aufbaute, verfeinert die kleine Organisation ihre internen Verfahren, vor allem um die Arbeit der Freiwilligen und die Beziehungen zu den Menschen, die sie begleiten, zu verbessern. 

Ein Bereich, dem PWS Priorität eingeräumt hat, ist die Geschlechtergerechtigkeit. Die in einem zweijährigen Diskussionsprozess ausgearbeitete Gender Politik regelt Fragen der Gleichstellung, will sexuelle Belästigung verhindern und nennt Maßnahmen, die PWS im Falle von Belästigung und Gewalt gegen Frauen ergreifen will, sowohl nach innen als auch nach außen gegenüber den begleiteten Menschen und Organisationen. 

In einem ersten Schritt gab PWS das Dokument den begleiteten Organisationen zur Kenntnis und wartet nun auf Rückmeldungen, die in einem zweiten Schritt aufgegriffen und in das Dokument integriert wer-den. Am Schluss soll die Gender Politik Teil des Vertrages werden, den PWS mit den begleiteten Organisationen über die Art und Grundsätze der Begleitung abschließt. Die dafür neu vorgeschlagene Formulierung im Kooperationsvertrag lautet: „Wir fördern den Respekt, die Gleichberechtigung und Gleichstellung der geschlechtlichen, sexuellen und kulturellen Vielfalt.“ 

Mitgearbeitet an dem Dokument haben die PWS-Koordination in der Schweiz sowie verschiedene Freiwillige. Ergänzt wird das Papier durch honduranische Gesetze zur Gender Gewalt, die eine hiesige Rechtsanwältin auf ehrenamtlicher Basis aufarbeitete. Damit hat es einen ganz konkreten Bezug zum honduranischen Justizsystem. 

Zur Erläuterung werden am Anfang des Dokuments gender-relevante Begriffe vorgestellt, danach wird das Verständnis von PWS über seine Gender Politik sowie dessen wesentlichen Grundlagen dargelegt. 

Kern der Gender Politik ist die Einrichtung eines PWS-internen Gender Ausschusses, der sich aus drei Personen zusammensetzt, zwei aus dem Honduras Team und einer aus dem Schweizer Team. Jede Gemeinde soll eine Person benennen, die im Falle eines Falles als Ansprechpartner*in fungiert. Die Mitglieder des Ausschusses unterzeichnen eine ethische Verpflichtung über ihre Aufgaben. Aufgabe des Gremiums ist die Anhörung und Weiterverfolgung aller gender-relevanten Fragen in der gesamten Arbeit von PWS, die Beseitigung diskriminierender/machistischer Praktiken, die Arbeitsbedingungen im PWS Team selbst sowie die Verbesserung der Begleitung von Menschenrechtsverteidiger*innen und ihrer Organisationen. Konkret werden die Aufgaben des Ausschusses aufgeführt: 

  • Sicherstellung der Einhaltung unserer Gender Politik in Übereinstimmung mit den Grundsätzen von PWS.
  • Vorbereitung Entwicklung interner Workshops, um das Verständnis und das Bewusstsein für Gleichstellungsfragen zu verbessern.
  • Gewährleistung der Gleichstellung in unseren eigenen Begleitaktivitäten, z. B. in Bezug auf die geschlechtsspezifische Zusammensetzung unserer Teams und unserer Kontakte in den Gemeinschaften. 
  • Durchführung einer halbjährlichen Analyse von geschlechtsspezifischen Vorfällen und Erstellung einer halbjährlichen Analyse geschlechtsspezifischer Vorfälle und Weitergabe der Ergebnisse an die Mitglieder des PWS-Teams. 

Nachdem wir Gender Politik nun in den Gemeinden vorgestellt haben, sind wir auf deren Rückmeldungen gespannt. In einem der nächsten Blogs werden wir Euch über die Ergebnisse der Diskussionen mit den Organisationen informieren.

 1 Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/partnerschaft-gewalt-bka-101.html (abgerufen am 03.02.2022)

2 Vgl. Erster Staatenbericht der Schweiz Istanbul-Konvention 2021 (PDF, 2 MB), S. 133 (abgerufen am 03.02.2022) 

3 https://derechosdelamujer.org/project/2020/ (abgerufen am 03.02.2022)

4 vgl. https://derechosdelamujer.org/project/2021/ (abgerufen am 03.02.2022)

5 vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/383352/umfrage/gesamtbevoelkerung-von-honduras/ (abgerufen am 03.02.2022)

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