Landbesitz; Recht versus Macht

Artikel von Julien Christe, übersetzt ins Deutsche von Céline Weber. Julien und Céline sind PWS-Menschenrechtsbegleiter٭in in Honduras

Tegucigalpa, Honduras, im April 2022

Der Landbesitzes ist in Honduras ein äusserst heikles Thema. Gründe dafür sind: Es gibt kein funktionsfähiges offizielles Kataster gibt, Behörden können Regierungsbehörden Eigentumstitel vergeben sowie die allgegenwärtige Korruption.

Ein äusserst heikles Thema in Honduras ist das des Landbesitzes. Weil es kein funktionsfähiges offizielles Kataster gibt, weil unterschiedliche Regierungsbehörden Eigentumstitel vergeben können und wegen der allgegenwärtigen Korruption werden die Honduraner٭innen mit diversen Problemen konfrontiert.

Ohne ein Anwalt oder ein Spezialist für Eigentumsrechte zu sein, werde ich im Folgenden einige Beispiele vorstellen, die wir während der vielfältigen Menschenrechtsbegleitungen in ganz Honduras mitbekommen haben.

In Reitoca, einer Gemeinde der indigenen Lenca südlich der Hauptstadt, haben wir kürzlich gesehen, dass auch Bürgermeisterämter für diese Probleme verantwortlich sind. So hat in der Region Azacualpa beispielsweise die Gemeinde einigen Privatpersonen Rechte an kommunalem Land gewährt. Im konkreten Fall handelt es sich um ein Grundstück, das verkauft wurde, und sich die Käuferin anschliessend erlaubte, eine Absperrung rund um dieses Stück Land zu errichten. Dies hatte zur Folge, dass der Gemeinde der Zugang zu einer «quebrada» (einer Schlucht, in der sich bei Regen ein kleiner Fluss bildet, der von den Bewohner٭innen als Wasserquelle genutzt wurde), als auch der Zugang zu einem gemeinsamen Brunnen entzogen wurde. Der neue Gemeinderat wird diese Situation überprüfen, weil der vorige seine gesetzlichen Berechtigungen überschritten hatte. Folglich können möglicherweise Gerichtsverfahren gegen die ehemaligen Gemeinderatsmitglieder eingeleitet werden.

Auch andere indigene Dörfer im Land leiden darunter, dass Unternehmer٭innen ihr Land mit Gewalt beschlagnahmen wollen. Im Norden des Landes haben die Garifuna einen hohen Preis für die Verteidigung der Länder ihrer Vorfahren bezahlt. Viele Tourismusprojekte versuchen, sich in Gebieten der Garifuna anzusiedeln. Die Garifuna sind durch die IAO-Konvention 169 der internationalen Arbeitsorganisation geschützt, die ihnen das Recht garantiert, über Projekte und Siedler٭innen zu entscheiden, die sich auf ihrem Land niederlassen wollen. Doch diese Konvention hat den honduranischen Staat und die Geschäftsleute nicht daran gehindert, die Garifuna vor Gericht zu stellen, nur weil sie dieses Recht verteidigen wollen. Die vielleicht groteskeste Situation war die Anschuldigung der Garifuna-Verteidiger٭innen, für die Zwangsverdrängung der Unternehmen verantwortlich zu sein. Diese Anklage wird normalerweise gegen bewaffnete Banden eingesetzt, die Menschen zwingen, ihre Häuser zu verlassen. Mit ähnlichen Angriffen waren die Tolupanes konfrontiert, als sie beschlossen, sich gegen Holz- und Bergbauunternehmen zu verteidigen, die versuchten, sich die natürlichen Ressourcen ihrer Gemeinden anzueignen.

In der Region Aguán, im Norden des Landes, hat das Nationale Agrarinstitut (INA) den Unternehmen die entsprechenden Landtitel verliehen. Diese Unternehmen sagen nun, sie hätten dieses Land auf legale Art und Weise von Genossenschaften gekauft, die es zuvor besessen haben. Zahlreichen Zeugenaussagen zufolge wurden die Titel jedoch hauptsächlich durch Korruption und Drohungen erworben. Als die Mitglieder der Genossenschaften ihre Nachforschungen anstellten, wurden ihnen Landtitel gezeigt, die besagten, dass sie immer noch Eigentümer٭innen dieser Ländereien sind. Vor kurzem hat die neue Regierung eine Dialoggruppe zwischen Behörden, Unternehmen und Bäuer٭innen eingerichtet, um endlich einen Ausweg aus einem jahrzehntelangen Konflikt zu finden. Dieser blutige Konflikt hatte zur Ermordung von mehr als 150 Bäuer٭innen geführt hat, die um ihr Land kämpften.

Das Verwaltungsamt OAB hat sich ebenfalls an problematischem Verhalten beteiligt. Es ist dasjenige Amt, das als Regierungsbehörde für den Umgang mit beschlagnahmten Vermögenswerten zuständig ist, beispielsweise wenn eine Person wegen Drogenhandels und Geldwäsche verurteilt wird. Der ehemalige Direktor wurde gerade verhaftet und beschuldigt, das Land und andere beschlagnahmte Ressourcen an politische “Freunde” übergeben zu haben. Einige Bauerngruppen berichteten uns, dass diese Ressourcen meistens preisreduziert an Menschen verkauft wurden, die mit dem Drogenhandel und der vorherigen Regierung (oder beidem gleichzeitig) in Verbindung stehen. Nach Meinung der Bauerngruppen sollte dieses Land an die ärmeren Personen umverteilt werden, denn diese haben einen lebenswichtigen Bedarf dafür und so würde vermieden, dass sie für ihre Existenzsicherung und ihr Überleben migrieren müssen.

Das Beispiel von Zacate Grande ist exemplarisch für die Schwierigkeiten, die das Fehlen von Landtiteln mit sich bringt. Bis zum Bau einer Landverbindung in den 1970er Jahre war Zacate Grande eine Insel. Zacate Grande wurde somit zu der heutigen Halbinsel. Diese Tatsache ist wichtig, weil das Land dadurch von nationalem in privaten Besitz gekommen ist. Denn als Insel gehörte das Land dem honduranischen Staat und die Bewohner٭innen konnten keinen Besitzanspruch erheben. Einige Jahre nach diesem Wechsel kamen Mitglieder der wirtschaftlichen Elite des Landes mit Eigentumstiteln, die sie angeblich einer ausländischen Familie abgekauft haben. In diesen Geschäftsvorfällen liegen zwei Widersprüche. Der erste Widerspruch ist, dass es Ausländer٭innen verboten ist, Land in der Nähe der Küste zu kaufen. Der zweite Widerspruch ist, dass keine Privatperson Anspruch auf diese Ländereien haben konnte, da diese vorher in nationalem Besitz waren. Trotzdem haben die Gerichte diese Landtitel anerkannt, ohne diese Argumente zu berücksichtigen. Darüber hinaus leben und kultivieren viele Familien dieses Land seit Jahrzehnten. Ausser mit wenigen speziellen Ausnahmen gewährte der Staat die Landtitel nie denjenigen, die das Recht darauf hätten. Deshalb treten in vielen Konflikten die Bewohner٭innen, die seit Generationen auf der Halbinsel leben, gegen die Grundbesitzer٭innen an. Aufgrund der Korruption und der politischen “Freundschaften” der Grundbesitzer٭innen unterstützen die Sicherheitskräfte und Justizbetreiber٭innen die Grundbesitzer٭innen bei ihren Kriminalisierungs- und Gewalttaten gegen die Bewohner٭innen. Ein weiteres Problem ist das der Mehrfachverkäufe. Um die zweifelhafte Herkunft von Landtiteln zu verbergen, werden diese Titel mehrmals verkauft. So kann der oder die letzte Käufer٭in rechtfertigen, dass er oder sie diesen Titel von einer Person gekauft hat. Natürlich kann die vorherige Person dasselbe aussagen. Einige Eigentümer٭innen kaufen diese Grundstücke nicht in ihrem eigenen Namen, sondern im Namen einer Scheinfirma, die sie vor möglichen Klagen schützt. Gemäss den Dorfbewohner٭innen haben ehemalige Präsidenten Landtitel auf der Halbinsel erworben. Juan Orlando Hernández, der ehemalige honduranische Präsident, der vor Kurzem wegen Verwicklung in Drogengeschäft in die USA ausgeliefert wurde, gehört mutmasslich zu diesen Eigentümern. Aber sein Eigentum erscheint nicht unter den Dokumenten, die kürzlich von den Gerichten beschlagnahmt wurden.

Laut Gesetz müssen in Honduras Strände öffentlich zugänglich sein. Dies ist aber nicht mehr der Fall. Die Strände wurden zwar nicht direkt gekauft, jedoch haben mehrere bedeutende Großgrundbesitzer٭innen das gesamte Land um die Strände herum gekauft. Dies hat zur Folge, dass den anliegenden Gemeinden der Zugang zu diesen Stränden vorenthalten wird. Das mag trivial erscheinen, aber in den Fischergemeinden handelt es sich hier um eine Frage des Überlebens. Wenn der Zugang zum Strand verwehrt bleibt, ist es für die Fischer unmöglich, ihre die Boote ins Wasser zu lassen. Sie sind nicht einmal in der Lage, wenigstens die Grundbedürfnisse der eigenen Familie zu decken.

Foto: Räumung der Bauerngemeinde Remolino in der Region Aguán im Dezember 2021

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