Artikel von Valeria Küttel, Menschenrechtsbegleiterin von Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras.
Tegucigalpa, Honduras, im November 2022
Perla, Pamela und Jorge treffen sich auf einem öffentlichen Platz. Sie sind Teil einer Gruppe, die in ihrer Gemeinde die Achtung der Menschenrechte fördert. Die drei Freund*innen sind am Plaudern, als plötzlich die Polizei auftaucht, sich der Gruppe nähert und Ihnen sagt, dass sie hier nicht sein dürfen. Die Beschuldigten wollen den Grund für den Platzverweis wissen und verweisen dabei auf ihr Recht, zusammenzukommen. Obwohl sie dabei sachlich und friedlich bleiben, beginnen die Polizisten zuzuschlagen, nehmen die Drei gewaltsam fest und bringen sie zur Polizeistation in Gewahrsam.
Diese Szene könnte sich heute oder morgen in einer Gemeinde in Honduras abspielen. So unwahrscheinlich ist das nicht, dass Menschenrechtsverteidiger*innen grundlos festgenommen, kriminalisiert oder im schlimmsten Fall sogar getötet werden. Zum Glück handelt es sich bei dieser Szene nur um einen Ausschnitt aus dem Radioprogramm mit dem Namen „Derechos Humanos al Día“, was übersetzt so viel heisst wie „Auf dem neusten Stand der Menschenrechte“.
Das Radioprogramm wurde von ProDeHonduras initiiert und wird nun von verschiedenen lokalen Radios abgespielt. Das Projekt ProDeHonduras (promoción = Förderung und defensa = Verteidigung) ist Teil des ProDerechos-Programms das von derEuropäischen Union finanziert wird. Das Programm wird von fünf Organisationen, die in Honduras im Bereich der Menschenrechte tätig sind, umgesetzt. Peace Watch Switzerland (PWS) ist eine dieser fünf Organisationen. Angeführt wird das Programm von HEKS. 12 lokale Radiosender und eine Onlinezeitung haben zugestimmt, das Programm auszustrahlen. PWS begleitet aktuell fünf Organisation, die unter anderem eine Radiostation unterhalten und das Radio als Mittel nutzen, um die lokale Bevölkerung über ihren Kampf um die Verteidigung der Menschenrechte zu informieren (Lesen Sie mehr über diese Radiostationen in unserem Artikel vom 8. Juni 2022).
Das Hörspiel
In der Radioserie, bestehend aus 13 Episoden, durchleben die Protagonisten gemeinsam den Alltag in einer fiktiven Gemeinde in Honduras. Sie werden dabei mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert, wie beispielsweise der Kriminalisierung, ausbleibende Lohnzahlungen, Zwangsräumungen, einer mangelnden Gesundheitsversorgung, der Gewaltausübung von Sicherheitskräften oder der Diskriminierung von indigenen oder anderen gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Gemeinsam mit Freund*innen, Personen aus der Nachbarschaft und einem bekannten Anwalt begeben sich unsere Protagonisten auf einen Weg, auf dem sie die verschiedenen Aspekte der Menschenrechte kennenlernen. So folgt beispielsweise auf die eingangs beschriebe Szene eine weitere, in der sich der Anwalt auf der Polizeistation meldet und den Polizisten vor Ort in einfachen Worten die Rechte der Inhaftieren erklärt. Letztere werden daraufhin entlassen und der Anwalt kündigt an, die Geschehnisse in einem Rechtsverfahren untersuchen zu lassen.
Die 13 Episoden dauern je rund 20 Minuten und sind in folgende Themen aufgegliedert:
- Was sind Menschenrechte? Allgemeine Konzepte
- Menschenrechtsgarantie – Institutionen in Honduras
- Honduras und die internationalen Menschenrechtsverträge
- Bürgerliche und politische Rechte
- Wirtschaftliche, soziale, kulturelle und ökologische Rechte
- Rechte von gefährdeten Gruppen (LGBTQ+, Menschen mit Behinderungen, indigene Völker und Garífuna)
Radio als Medium
Mit mehr als 3 Milliarden wöchentlichen Zuhörer*innen gehört das Radio auf globaler Ebene zu den meistbenutzten Medien. Trotz konkurrierender, neuerer Technologien ist das Vertrauen der Menschen in das Radio weiterhin stabil. Weshalb ist das so? Im Vergleich zu anderen Medien sind die Anschaffungskosten sowie die laufenden Kosten gering. Das Radio kann jederzeit und überall gehört werden; beim Frühstückstisch, beim Autofahren, beim Boden wischen, oder aber bei der Arbeit. Radios funktionieren auch, wenn die Stromversorgung oder die Netzverbindung ausfällt. In Honduras betrifft das vor allem ländliche Gebiete, in denen vorwiegend die ärmere Bevölkerung lebt. Bei Notfällen oder Katastrophen ist das Radio ein zuverlässiger Informationskanal. Das Radio hat zudem die Fähigkeit ein breites Publikum zu erreichen und bietet umgekehrt verschiedenen Stimmen eine Plattform, sich zu äussern und gehört zu werden. Es bringt Menschen zusammen und schafft einen öffentlichen Raum für den Austausch von Meinungen und Ideen. Das Radio trägt damit massgeblich zu einem demokratischen Diskurs bei.
https://www.unesco.org/en/articles/radio-remains-one-most-trusted-medium-communication
https://www.soocial.com/radio-listening-statistics/
https://news.un.org/en/story/2022/02/1111882
Churros y fresquitos
Zurück zu Perla und ihren Freund*innen: Die Sprache der Protagonist*innen ist gespickt mit honduranischen Begriffen und Redewendungen. Im Hintergrund Strassenlärm, Musik und Hundegebell. Und selbstverständlich gehören auch churros, sopa de pollo, baleadas, horchata und viele weitere honduranische Köstlichkeiten zum Alltag in der Gemeinde dazu. In jeder Geschichte gibt es humorvolle Elemente, um das Interessen des Publikums aufrechtzuerhalten. Die Zuhörer*innen sollen sich mit den verschiedenen Charakteren und deren Realitäten und Denkweisen identifizieren können. Die Radiosender können die Episoden auch mit eigenen Podcasts oder Interviews erweitern, um so der lokalen Bevölkerung die Mitsprache zu ermöglichen. Denn der kollektive Lernprozess, den unsere Weggefährt*innen im Hörspiel durchlaufen, soll auch in der realen Zivilgesellschaft stattfinden; sich über seine Rechte informieren – oder informiert werden – , darüber nachdenken, miteinander diskutieren und schliesslich dafür einstehen können. Oft lassen sich betroffene Menschen schnell von grossen Konzernen oder staatlichen Institutionen einschüchtern, da sie unteranderem ihre Rechte nicht kennen. Wenn der Staat die Menschenrechte nicht, oder nur bedingt durchsetzt, ist es umso wichtiger, dass die Bevölkerung ihre Kenntnisse darüber vertieft. Erst dann können sie zu proaktiven Verteidiger*innen ihrer Rechte werden. Das Ziel des Radioprogramms ist die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema der Menschenrechte. Ein wichtiger Schritt zu einer gestärkten Zivilgesellschaft in Honduras.
Bildlegende: Radiostudio von „Voz de Zacate Grande”. Foto: PWS Honduras, 2022