Bienvenido a la libertad, Alvaro García!

Freitag, der 13. kann auch ein Glückstag sein!

Nach 18 Monaten Haft wurde Álvaro García am letzten Freitag endlich entlassen und konnte auf seine Finca in Bella Union zurückkehren! (Siehe Post vom 21. November 2016)

Seit Frühling 2016 haben alle Equipos von PWS Álvaros Fall mitverfolgt, sind während zahllosen Verhandlungen und Anhörungen vor dem Gerichtsgebäude und vor dem Gefängnis gestanden, auch wenn es regnete, zusammen mit Vertretern anderer Organisationen, die sich wie PAS für Álvaros Freilassung einsetzten.  Und wir, das neue Begleitteam seit September, hatten das Glück bei der Freilassung dabei sein zu dürfen, und seine Heimreise zu begleiten.

Am Donnerstag, 12. Oktober war wieder ein Gerichtstermin angesagt, und insgeheim hofften alle diesmal auf die Freilassung. Pünktlich um acht Uhr früh fanden wir uns bei der lokalen Strafgerichtsbarkeit, dem Palacio de Justicia, Juzgado penal 4 ein, als wir erfuhren, dass die Verhandlung auf den Nachmittag verschoben worden war. Sowas passiert dauernd. Am Nachmittag also standen wir wieder im Gang vor der Türe des Verhandlungszimmers, diesmal mit den den Leuten von ECAP und ASSORVIM, zwei weiteren Organisationen, welche den Fall seit Beginn begleiteten. Der Sohn von Álvaro, Victor war aus Bella Unión gekommen, in der Hoffnung, diesmal mit seinem Vater ins Dorf zurückzureisen. Er war sichtlich nervös, schwitzte und versuchte durch die Jalousien hindurch einen Blick ins Verhandlungszimmer zu erhaschen. Die Gitter vor dem Justizpalast waren mit Transparenten behängt, ‘Freiheit für Álvaro García’ und ‘Álvaro ist unschuldig!’  (Später meinte die Anwältin, diese Transparente seien sehr wichtig, der Richter gehe daran vorbei auf dem Weg in sein Büro und die Nachricht bleibe in seinem Hinterkopf: Dass Álvaro unschuldig ist! Sie wollte uns wohl Mut machen.)

Wir warten in der Hitze, Kameras gezückt, einzelne sind in dauerndem Whatsapp Kontakt mit der Anwältin.  Endlich die erlösende Nachricht: Álvaro kommt frei!! – Und sogleich das grosse Aber: Gegen eine Kaution von 2 Monatslöhnen, 1,5 Millionen COP (ca. 500 Franken). Das mag bescheiden klingen, ist aber eine Unsumme für Campesinos und auch für die begleitenden NGOs. Was dann geschah, war sehr eindrücklich: fieberhaftes Hin-und-her-Senden von Nachrichten, Telefonanrufe, und innert kürzester Zeit kommen die Zusagen zusammen: die Gemeinschaften Bella Unión und El Guayabo verpflichten sich einen Beitrag aufzutreiben, PAS sagt eine Summe zu, ECAP ebenfalls, ASSORVIM übernimmt den Rest: Das Geld ist beisammen! Ich bin sprachlos und sehr beeindruckt. Wenn es drauf ankommt, geht’s auch in Kolumbien mal sehr schnell! (In dem Moment machen sich Eric und Emilce in den Dörfern auf und gehen von Haus zu Haus. Jeder gibt, was er kann, manche 10’000 andere 1’000 oder auch nur 50 Pesos, und das Versprechen wird erfüllt – die 500’000 kommen zusammen!)

Álvaro wird herausgeführt, noch ist er in Handschellen. Er freut sich über unsere Anwesenheit, wird aber schnell abgeführt, zurück in seine Zelle. Zuerst muss das Geld herbeigeschafft werden, erst am nächsten Tag dann wird er freigelassen.

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Der Kampf um Land ist kein Verbrechen!

Claudia, die Anwältin, ist fix und fertig. Sie ist eine kleine, unauffällige Frau mit ruhiger Stimme. Hartnäckig und klug hat sie die Verteidigung geführt, nachdem ihr Vorgänger versagt, und die Haftzeit sich dadurch massiv verlängert hatte. Sie gibt ein Statement ab und sagt: “Der Kampf der Kleinbauern um ihr Land ist kein Verbrechen, und die Justiz darf nicht dazu missbraucht werden, die Bauern und Bäuerinnen einzuschüchtern und zu bedrohen.” Der Kläger, der berüchtigte Don Rodrigo, hatte allerdings seine ‘Zeugen’ so schlecht gebrieft, dass sie sich in zu viele Widersprüche verstrickten, und dem Richter der Kragen platzte. Die vier Anklagepunkte: Absprache zur Ausführung einer kriminellen Handlung, tragen illegaler Waffen (Macheten sind im ländlichen Kolumbien wichtige Arbeitsgeräte), Transport von Drogen (erfunden), Drohungen (erfunden), wurden alle als nichtig erklärt. Der kolumbianische Rechtsstaat ist auf dem Papier recht fortschrittlich. Die über-bürokratisierte und korrupte Justiz aber ist völlig unberechenbar. Und kommt einmal ein integrer Richter zum Zug, der unbeirrt die Fälle betrachtet und auch einmal zugunsten der Schwächeren, der Campesinos entscheidet, wird er prompt versetzt in eine andere Provinz.

Am Freitagabend finden wir uns wieder zusammen, vor der unauffälligen Hintertür des Gefängnisses.  Ein Empfangskomitee von ca. 30 Leuten erwartet den Leader Álvaro García, und wartet und wartet und wartet. Immer wieder geht die Tür auf – und es ist nicht er, der herauskommt. Doch die Gefängniswärter schauen verdutzt auf unsere Gruppe mit den Transparenten und werden ein wenig unruhig. Sie befürchten wohl einen Aufruhr und endlich, mit zwei Säcken und zwei Plastikstühlen, erscheint Álvaro! Grosses Hallo, Umarmungen, Lachen. Er ist sehr gefasst, bedankt sich und drückt seinen Sohn ans Herz, der fast zwei Kopf grösser und viel schwerer ist als sein sehniger Vater.

Wir feiern mit Take-away Essen und einer Riesentorte und schliesslich bittet uns die Koordinatorin, Álvaro aus Sicherheitsgründen am nächsten Tag auf seiner Heimfahrt zu begleiten. Wir zögern nicht lange und verschieben unseren freien Tag. Und es wird ein wunderbares Erlebnis. Álvaro beschliesst direkt auf seine Finca in Bella Unión zu reisen und erst einmal seine Familie wiederzusehen.

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Con la frente en alto – siempre adelante (Vorwärts mit erhobener Stirn)

In Badillo steigen wir aus der Chalupa, dem Schnellboot aus und mit Girlanden, Ballonen und Willkommensbotschaften steht das Dorf bereit zur Begrüssung. In feierlichem Umzug wandern wir zum Haus von Doña Blanca, begleitet von einem ohrenbetäubenden Hupkonzert der Mopeds. Bei einem feinen Sancocho mit Huhn wird gefeiert. Einige ergreifen das Wort, es fliessen ein paar Tränen, gemeinsames Beten und Lobpreisen lässt die Frauen zum Zug kommen, und zum Schluss gibt Álvaro ein Lied zum besten, das er im Gefängnis komponiert hat! Bienvenido en la libertad, Willkommen in der Freiheit, Don Álvaro! Der letzte der vier verhafteten Leader ist frei und – wie es den Anschein hat – beabsichtigt er nicht, sich zur Ruhe zu setzen! Was für ein Privileg, bei diesem bewegenden Ereignis dabei gewesen zu sein!

Britta Holden, Menschenrechtsbeobachterin in Kolumbien

 

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