Artikel von Céline Weber und Annina Scherrer, Menschenrechtsbegleiterinnen von Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras.
Tegucigalpa, Honduras, im Mai 2022
Gemeinschaftsradios haben in Honduras Tradition. Sie bilden ein Gegengewicht zum profitorientierten Medienwesen, und sie sind ein zentrales Instrument für Information von unten und die freie Meinungsäusserung. Einige Gemeinden, die PWS begleitet, haben eigene Radiostationen aufgebaut. Zwei PWS-Menschenrechtsbegleiterinnen berichten vom Geburtstagsfest zweier Gemeinschaftsradios und geben Hintergrundinformationen .
Im Mai 2022 durfte Peace Watch Switzerland die zwölfte Geburtstagsfeier (14. April 2010) von «La voz de Zacate Grande» und die neunte von «Radio Cholula Triunfeña» begleiten. Dies sind Community Radios im Süden von Honduras – zwei von vielen Gemeinschaftsradios, die mit der honduranischen Radiobewegung entstanden sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie, anders als die grossen Medienunternehmen, nicht Eigentum einer Einzelperson, sondern einer Gemeinschaft gehören. Da nicht der Profit im Zentrum steht, betrieben sie keine kommerzielle Werbung, sondern befassen sich mit gesellschaftlichen Verhältnissen. Ihr explizites Ziel ist die Förderung der freien Meinungsäusserung.
Nach Reyes (Swissinfo:2021) sind die ersten honduranischen Gemeinschaftsradios in den 80er und 90er in nördlichen Gemeinden von Afro-Stämmigen Honduraner٭innen in der Karibik entstanden. Nach und nach bauten auch indigene Völker in anderen Teilen des Landes freie Radios auf. Vor allem mit dem Staatsstreich 2009 gab es einen Boom an Community Radios, die der einseitigen Berichterstattung durch die mächtigen Medien, zugunsten einer kleinen Elite des Landes, entgegenwirken wollten. Nach Enamorado, dem Sekretär der Vereinigung der Gemeindemedien von Honduras (AMCH), sollen die Gemeinschafsradios die Demokratie in den Gemeinden fördern: Denn ohne Medien gäbe es nach Enamorado keine Demokratie. 35 dieser 50 bestehenden Community Radios seien vom Staat anerkannt.1
Doch das Ent- und das Bestehen dieser Radios war alles andere als einfach. So musste Pedro Canales, der Gründer der von uns begleiteten Vereinigung für die Entwicklung der Halbinsel Zacate Grande (ADEPZA) ist, beispielsweise im Radio Progreso am 23. September 2020 die Ermordung seines Wachhundes verkünden, was als deutliche Drohung gegenüber seiner Person zu verstehen war. Canales benutzt das Lokalradio unter anderem als Medium für seinen Kampf als Menschenrechts-verteidiger.2
Die Inbetriebnahme des Radios von Zacate Grande verschärfte die Verfolgung und Bedrohung von ADEPZA und der Radiomacher٭innen. So versuchte ein Richter beispielsweise, den Radiosender mit einem Aufgebot von 300 Polizeibeamten zu schliessen. Pedro Canales lebte längere Zeit mit der Angst, den Radiobetrieb einstellen zu müssen und verhaftet zu werden. Er wurde zudem von bewaffneten Menschen bedroht, sein Auto sabotiert. Auch der Direktor des Radios, Franklin Meléndez, wurde verfolgt, ein Schuss traf ihn ins Bein. Wegen dieser Bedrohungen erliess die Interamerikanische Menschenrechtskommission am 18. April 2011 vorsorgliche Massnahmen zum Schutz der Mitarbeitenden des Radiosenders.3
Die Corona-Pandemie hat die Lokalradios in den letzten Jahren zusätzlich erschwert. Während die grossen Medienkonzerne grosszügig mit staatlichen Mitteln unterstützt wurden, sind die Gemeinschaftsradios auf sich gestellt.4 Trotzdem dienten die Sendungen während der Coronapandemie zugleich zur Warnung und Ermutigung für die Lokalbevölkerung in dieser schwierigen Zeit. Die Lokalradios informierten wahrheitsgetreu und setzten auch in Pandemiezeiten die Einschaltquoten nicht als oberste Priorität.5
Auf einer kürzlichen Begleitung in Reitoca, einer Gemeinschaft der indigenen Lenca, konnten wir bei einer Live-Radiosendung ihres kurz zuvor neueröffneten Community Radios, Radio Reitoca – die Stimme der Befreiung – dabei sein. Die beiden Radiomacherinnen nutzen die stündige Sendung unter anderem, um über fast verloren gegangene Lenca-Handwerkskunst zu berichten. Zudem lieferten sie Handlungsvorschläge für Situationen, in denen man als indigene Lenca «beschimpft» werde: Die richtige Antwort darauf sei «Ja ich bin Lenka – und ich bin stolz darauf!». Mit ihrer Radiosendung konnten die Radiomacherinnen bereits bewirken, dass während der Osterwoche weniger Abfall an ihrem Fluss hinterlassen wurde. Dies, da sie die Verschmutzung des Flusses in den vorangehenden Wochen in ihren wöchentlichen Sendungen thematisiert hatten. Eine Einführung in die Kunst des Radiomachens erhielten die Medienschaffenden bereits vor der Corona-Pandemie. Umso schöner ist es jetzt, dass die ersten Radiosendungen gut verliefen und sowohl lokal und national als auch international laufend positive Rückmeldungen eintreffen. Bei der Installation des Radios erhielt die Gemeinde Reitoca Hilfe von ihren Kolleg٭innen aus ADEPZA.
«La voz de Zacate Grande» feierte am 14.Mai bereits ihren 12 Geburtstag. Die Geburtstagsfeier war das Zelebrieren und Festhalten eines Augenblicks des Radios «La voz de Zacate Grande», der nicht ohne seine Vergangenheit zu verstehen ist. Der feierliche Tag sollte den rund 100 anwesenden Frauen, Männern und Kindern auch Mut und Hoffnung für weitere schwierige Momente in ihrem Kampf machen. So hiess es in einer Rede, dass es das Ziel sei, nächstes Jahr gemeinsam einen weiteren Geburtstag des Radios feiern zu können. Die Feier wurde von Gerardo Aguilar von ADEPZA eröffnet. Er leitete ein Forum, an dem drei Gäste teilnahmen. Jede Person sprach etwa 20 Minuten lang, und am Ende blieb noch etwas Zeit für Fragen aus dem Publikum. Im Mittelpunkt des Forums standen die Menschenrechtssituation in Honduras, die Menschenrechtsverletzungen in der Region Zacate Grande und die Situation unter der neuen honduranischen Präsidentin. Nebst dem leckeren servierten Essen standen verschiedene festliche Spiele auf dem Nachmittagsprogramm. Die Kinder erfreuten sich am Sackhüpfen, während die Erwachsenen versuchten, möglichst schnell einen eingefetteten Holzmast zu erklimmen: Ein traditionelles Spiel in den honduranischen Gemeinden, das bei allen anwesenden für Lacher und Unterhaltung sorgte. Der Abend konnten die Gäste dann mit einer Musikeinlage der extra angereisten Garifuna – einem indigenen Volk im Norden des Landes – bei Tanz und Getränken ausklingen lassen. Den ganzen Tag über herrschte eine ausgelassene und fröhliche Stimmung, auch wenn hin und wieder über Menschenrechtsverletzungen gesprochen wurde. Doch eins wurde an diesem Tag wohl allen klar: Sich nicht allein zu fühlen ist unglaublich wichtig und zugleich motivierend, um den Kampf als Menschenrechtsverteidiger٭in weiterführen zu können und wollen.
Auch am 9. Jubiläum des Radio Cholula in Macile in der Gemeinde el Triunfo herrschte nach dem offiziellen Teil eine ausgelassene Stimmung und neben feinem Essen, bunten Aktivitäten und künstlerischen Darbietungen wurde viel getanzt. Dieser Geburtstag wies die Besonderheit auf, dass ein Fernsehteam eines nationalen Senders Honduras mit dem Programm Canal 8 anwesend war, um landesweit über das Radio zu berichten und Stimmen aus dem Volk zu Wort kommen zu lassen.6 In einem 50 minutigen Interview berichteten Gründer und Mitglieder, von verschiedenen Gemeinschaftsradios aus dem Süden von Honduras, über die Entstehung, das Ziel und die Herausforderungen der Radios. Auch hier wurde erwähnt, dass die Gründung des Radios Cholula Triunfeña keinenfalls einfach war und bis heute nur durch die ehrenamtliche Arbeit der Radiomacher٭innen zu bewerkstelligen ist. Felix Pedro, einer der Gründer erwähnte, dass es während der Diktatur unter Juan Orlando Hernández für die Gemeinschaften kaum eine Möglichkeit gab, sich an der Öffentlichkeit zu äussern. Das Radio Cholula wurde mit dem Traum gegründet, dem Volk und seinen Kämpfen für die Menschenrechte und die Umwelt, eine Stimme zu geben und soziales Bewusstsein zu bilden. Heute gehören Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche zu den Radiomacher٭innen. Die Sendungen bieten Platz für Information, Bildung, die Stärkung der Menschenrechte, und auch für Kunst.
Die Radiobetreiber٭innen hoffen, dass das Radio eines Tages das ganze Departement erreicht. Sie haben die Vision, zur Demokratiebildung in Honduras beizutragen. Ihr Traum ist es, dass der Staat eines Tages zu Gunsten der Mehrheitsbevölkerung handelt. Das würde auch bedeuten, dass staatliche Subventionierung in Zukunft den Gemeinschaftsradios und nicht mehr nur den grossen Medienkonzernen zugute kommt und dass die Radiofrequenzen auch an Gemeinschaftsradios vergeben werden.
Fotolegende: Geburtstagsfeier vom Gemeinschaftsradio «La voz de Zacate Grande». PWS, Mai 2022
1 Radios comunitarias de Honduras abogan por ayuda internacional para subsistir – SWI swissinfo.ch
2 Mehr dazu in folgendem Artikel: Landbesitz; Recht versus Macht – peacewatch.blog
3 (PWS Honduras 2020: Chronologie ADEPZA)
4 Exigen al Congreso Nacional aprobación de fondo de responsabilidad social a radios comunitarias » Criterio.hn
5 Radios comunitarias en Honduras: soporte emocional de una población en crisis permanente » Criterio.hn
6 Radio Cholula Triunfeña celebra su noveno aniversario con música y alegría (tnh.gob.hn)