Honduras hat mich viel gelehrt

Suyana Siles, internationale Menschenrechtsbegleiterin von Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras

Tegucigalpa, Honduras

Meine Zeit als Menschenrechtsbegleiterin für PWS in Honduras ist bald zu Ende, doch die Eindrücke bleiben. Der Austausch mit Menschenrechtsaktivist*innen hat mir die Konsequenzen meines Handelns als Konsumentin in der Schweiz verdeutlicht und mir meine privilegierte Position ins Bewusstsein gerufen.

Nach sechs Monaten in Honduras habe ich viele beeindruckende, aber auch bedrückende Erfahrungen gesammelt. Es ist schwer zu begreifen, dass beispielsweise auf der Halbinsel Zacate Grande die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung keine Eigentumstitel für ihr Land hat, auf dem sie wohnen und das sie bewirtschaften – und dies obschon das Land seit vielen Generationen in ihrem Besitz ist. Dagegen sind offenbar einflussreiche Familien, die erst später zugezogen sind, auf undurchsichtige Weise zu den angeblichen Eigentumstiteln gelangt.

Bestürzend ist auch das Beispiel der Ethnie der Tolupanen, deren Mitglieder zwar offiziell über die Eigentumstitel des Landes verfügen, 60% ihres Landes aber von Aussenstehenden wie internationale Unternehmen oder Grossgrundbesitzer*innen besetzt werden. Diese Personen haben sich die besten Stücke der indigenen Ländereien geschnappt und beuten das Land ohne Rücksicht auf die Umwelt wirtschaftlich aus. Den Tolupanen bleiben lediglich die unrentablen Ecken ihres Landes überlassen. Darum liegen ihre Äcker und Siedlungen oft schwer zugänglich fernab der Strassen und weitherum verstreut in unwegsamem Gelände.

Beeindruckt hat mich die Kraft und die Unerschrockenheit der Aktivist*innen, die für ihre Rechte kämpfen. In den Gemeinden, in denen PWS mit Menschenrechtsbegleiter*innen präsent ist, lernte ich viele dieser Führungspersonen persönlich kennen und sie erzählten mir aus ihrem Alltag. Zu hören, welchen Herausforderungen sie dabei begegnen und mit welchen Gefahren für Leib und Leben sie und ihre Familien konfrontiert sind, stimmten mich nachdenklich. Schliesslich habe ich als Schweizer Konsumentin mindestens indirekt einen Einfluss auf ihre Situation. Wurde das von mir in der Schweiz konsumierte Gemüse Okra, die Bananen oder das Palmöl in den Guetzli auf Land produziert, das einer Bauerngemeinschaft unrechtmässig entzogen wurde? Werden meine Geldanlagen von europäischen Firmen in die Umsetzung «grüner» Projekte wie Wasserkraftwerke oder Fotovoltaikanlagen investiert, ohne dabei die Interessen der lokalen Bevölkerung zu respektieren? Die Arbeit als Menschenrechtsbegleiterin von PWS hat mir verdeutlicht, wie sehr meine Lebensweise in der Schweiz direkten mit negativen Folgen für Menschen in Honduras verknüpft sein kann.

Doch durfte ich auch die unbeschwerten Seiten von Honduras kennen lernen. Zum Frühstück gab es jeweils den feinen «plato típico», ein Teller mit Ei, Bohnen, frittierten Bananen, einem Stück Käse und Maistortillas. Die verschiedenen Käsesorten kann ich trotz motiviertem Lernen und geduldigem Erklären durch meine honduranischen Arbeitskollegen jedoch nach sechs Monaten noch immer nicht zuverlässig unterscheiden und benennen.

Von meinen Kletterfreund*innen habe ich das «español catracho» gelernt und kann nun mit Wörtern wie «chasta» (=schlechte Qualität) oder pacuso (=sehr schlechter Geruch, Abkürzung von pata-culo-sobaco also Fuss-Hintern-Achsel) den Local raushängen lassen. Die honduranischen Kletterbegeisterten waren es auch, die mir die Bars der Einheimischen zeigten samt den typischen Getränken und mich auf abenteuerliche Zelt-Ausflüge mitnahmen.

Selbstverständlich habe ich auch die touristischen Ecken in Honduras erkundet. Ich habe die perfekten Strände und das türkisblaue Wasser in Punta Sal bei Tela besucht und auf der Karibikinsel Útila zwischen Delfinen, Baracudas und Rochen tauchen gelernt. In Copán beeindruckten mich die vielen roten Aras, deren bevorzugtes Revier sich mitten in den Mayaruinen befindet. Ausserdem entspannte ich mich in der Dunkelheit des Dschungels in den Becken der heissen Quellen von Luna Jaguar. Selbstverständlich darf auch der Schweiss nicht vergessen gehen, mit dem ich zuverlässig die Wanderwege in den Nationalparks betropfte. Mein Lieblingsort in Honduras ist jedoch der Río Cangrejal beim Parque Pico Bonito, ein wilder Fluss mit riesigen Steinblöcken in faszinierend geschliffenen Formen.

Die Zeit als Menschenrechtsbegleiterin für PWS in Honduras hat bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Ich schätze es sehr, haben die Menschenrechtsaktivist*innen ihre Erfahrungen mit mir geteilt und durfte ich von ihnen lernen. Überrascht hat mich auch die wunderschöne Natur des Landes und die touristischen Möglichkeiten. Honduras und seine Bevölkerung sind mir in dieser kurzen Zeit ans Herz gewachsen und ich hoffe, es bleibt nicht mein letzter Besuch hier.


Bildlegende: PWS-Begleiterin im Gebiet der Tolupanen. (PWS 2023)