Letztes Wochenende war der zweite Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Guatemala. Ich war in den Bergen der Region Ixil und konnte darum das Wahlergebnis nicht sofort kommentieren. Die Überraschung des ersten Wahlgangs hat sich bestätigt. Jimmy Morales, der Kandidat mit dem kleinsten Wahlkampfbudget, dem magersten Regierungsprogramm und einer Kabinettsliste, die noch weitgehend leer ist, hat gewonnen.Deutlich gewonnen mit 67.4% und allen Departementen bis auf eines: Alta Verapaz. Sein Versprechen mit der Korruption in Regierung und Administration aufzuräumen und die Tatsache, dass er als Neuling in der Politik auf seine weisse Weste verweisen kann, waren ausschlaggebend. Fehlende politische Erfahrung war für die WählerInnen kein Argument, im Gegenteil, sie verbinden politische Erfahrung automatisch mit der Beteiligung an diesem oder jenem Korruptionsnetz. Dass seine Partei und der Wahlkampf weitgehend von Ex-Militärs geführt wird und wurde, hatte ebenfalls kein Gewicht.
Was nützt Jimmy den Militärs?
Welches Interesse haben die Ex-Militärs, über die Präsidentschaft die politische Landschaft des Landes mitzuprägen? Viele von ihnen waren während des internen bewaffneten Konflikts an Massakern und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt und sind bis jetzt noch nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Der Genozid-Prozess gegen den früheren General und Ex-Präsidenten Rios Montt hat zwar eine grosse symbolische Bedeutung, aber er betrifft nur die Region Ixil. In vielen andern Regionen ist ähnliches vorgekommen und die Kapazität und der Wille der Strafuntersuchungsbehörden, die Ermittlungen einzuleiten und weiterzuführen, hängen stark vom Budget und der Stimmung im politischen Umfeld ab. Über den Präsidenten und die Administration könnten die Veteranenverbände die Strafuntersuchung so weit hinauszögern, bis sie selbst gestorben sind oder, wie Rios Montt, als nicht mehr vernehmungsfähig erklärt werden.
Die Quadratur des Kreises
Jimmy Morales tritt eine fast unmögliche Aufgabe an: Für sein erstes Amtsjahr hat er noch kein funktionierendes Budget und der aktuelle Kongress wird ihm nicht helfen dabei. Im neugewählten Kongress kann er auf keine Mehrheit zählen. Es hat zwar Umschichtungen gegeben, aber nicht in dem Ausmass, dass er eine Koalition bilden könnte. Die traditionelle guatemaltekische Lösung dafür ist der Transfugismus, bei dem die Deputierten zu der Partei wechseln, die ihnen oder ihrem Klientel am meisten Vorteile verspricht. Als Anti-Korruptions-Präsident kann er nicht zu diesem Mittel greifen, ohne seine Legitimität vor seinen Wählern zu verlieren. Das gleiche Problem hat er auf der lokalen Ebene: seine Partei hat kaum Bürgermeistersitze gewonnen. Viele dieser Bürgermeistersitze sind mit lokalen Macht- und Korruptionsnetzen verbunden. Sie haben alles Interesse daran, seine Absichten zu hintertreiben und ihre Korruptionsnetze zu erhalten oder wieder zu flicken. Unterstützung im Kampf gegen die Korruption hat er einzig von der Zivilgesellschaft, die aber nicht nur bei der Korruption gegen die Straflosigkeit kämpft, sondern auch bei früheren und aktuellen Menschenrechtsvergehen. Und daran haben die Militärs in seiner Partei nun überhaupt kein Interesse.
Was braucht’s für ein Wunder?
Das unwahrscheinliche, optimistische Szenarium wäre: Er stellt sich als führungsstark, verhandlungskompetent und integer heraus, und es gelingt ihm, ein Kabinett mit fachlicher Kompetenz zusammenzustellen, das nicht nur die Korruption in ihren Ministerien bekämpft, sondern auch mit den äusserst knappen Mitteln inhaltlich gute Arbeit leistet. Und zu all dem muss es ihm gelingen, für seine Vorhaben Mehrheiten im Kongress zu finden.
Siehe auch: ¿Qué hay detrás del fenómeno Morales? von Estuardo Porras Zadik
Und zur kläglichen Situation der Linken in Guatemala:
De la incompetencia y los retos de la izquierda von Mario Sosa
Peter Keimer, 31. 10. 2015 (auf seinem privaten Blog)