Welttag des Buches in Guatemala

Am 23. April wird weltweit der Tag des Buches gefeiert. In Guatemala Ciudad, wo entgegen vieler Erwartungen das Kulturleben sehr vielfältig und ausgeprägt ist, wird dies in unterschiedlichen Lokalen mit Lesungen und Sonderausstellungen die ganze Woche thematisiert. So habe auch ich mich entschieden, euch die Rolle des Buches in der Geschichte Guatemalas und unserer Arbeit zu erläutern und Empfehlungen über die Werke abzugeben, die mich besonders beeindruckten.

Hintergrund des Weltbuchtags
Im Jahre 1995 deklarierte die UNESCO (UN Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur) den 23. April zum „Welttag des Buches“, dem weltweiten Feiertag für Lesen, Bücher und die Rechte der AutorInnen. Dabei hat sie sich von dem katalanischen Brauch inspirieren lassen, zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg Rosen und Bücher zu verschenken. Darüber hinaus kommt dem Datum die weitere besondere Bedeutung zu, dass der 23. April der Todestag unter anderem von William Shakespeare, Inca Garcilaso de la Vega (Peruanischer Autor und Geschichtsschreiber, spanischer sowie Inka Abstammung) und Miguel de Cervantes ist.  In ihrer Resolution erörtert die UNESCO die Wichtigkeit des Buches als das “mächtigste Mittel zur Verbreitung des Wissens und das effizienteste Mittel zu deren Bewahrung”. In Ländern wie Guatemala mit seiner blutigen Vergangenheit, kommt dem eine besondere Bedeutung zu.

Das Buch als Waffe gegen das Kollektive Vergessen
So bezog sich einer der Experten im Fall Super Zarco in seiner Gutachtenpräsentation über die internationalen Standards der Glaubwürdigkeit in Fällen sexueller Gewalt, auf die Werke “Tejidos que te lleva el alma” (Weberei die die Seele berührt) und “Te llevaste mis Palabras” (Du nahmst mir meine Worte), die den Kontext des internen Konflikts Guatemalas bestätigen, wozumal sexuelle Gewalt zur Tagesordnung gehörte und als systematische Kriegswaffe benutzt wurde. In der reichen Bibliothek unseres Projekts lassen sich diese zwei Werke auffinden. “Tejidos que lleva el alma” geht von dem sozioökonomischen und kulturellen Hintergrund dreier regionaler Gruppen von Maya- Frauen aus und handelt von Konzepten der Sexualität und sozialen Praktiken, über Sexuelle Gewalt als Bestandteil eines Genozids, als Kriegwaffe und als Teil des sogenannten Feminizids, bis hin zum Brechen der Opfer, ihrer Lebensprojekte und ihres Umfelds und die Narben, die sexuelle Gewalt im Leben, im Körper und im Herz der Maya Frauen hinterlässt. So bemängeln die Autorinnen (die Frauenrechtsorganisationen ECAP und UNAMG), dass sexuelle Gewalt während bewaffneten Konflikten weltweit meistens verschwiegen und bloss als durch unbefriedigte Soldaten begangene Einzelfälle abgehandelt wird. Dies, obwohl sie eine allen Kriegen gemeinsame und massiv ausgeübte Praxis darstellt und insbesondere in Fällen von Genozid strategisch vergewaltigt und missbraucht wird, um ganze Völker und die feindliche Seite durch den Körper der Frauen zu unterwerfen. In diesem Sinne erreicht der Körper der Frau in Kriegszeiten seine ganze symbolische Demension als männliches Eigentum. So wird durch sexuelle Gewalt gegen Frauen die Ehre der Männer verletzt, Paare werden gespalten und ganze Gemeinschaften auseinander gerissen. Die Lektüre dieses Werkes öffnet den LeserInnen die Augen für einen stets verschwiegenen Teil der kollektiven Erinnerung einer Postkonflikt-Gesellschaft, hier der Maya-Frauen. Weiter wirft es gesellschaftskritische Fragen über die von jung auf infiltrierte Rolle der Frau und geltende Konzepte und Tabus rund um Sexualität auf und ist sehr zu empfehlen für alle, die den bewaffneten Konflikt in Guatemala und seine fortbestehenden Auswirkungen insbesondere auf die Opfer aus einer weiblichen Perspektive betrachten wollen, der in Kriegesthemen kaum Platz gemacht wird. Dies, obwohl Statistiken entsprechend die Mehrheit der Kriegsopfer Frauen sind.

Der Autor des Werkes “Te llevaste mis palabras”, ein guatemaltekischer Psychologe, beschreibt den Akt des Erzählens der Überlebenden als Möglichkeit, sich durch das Teilen der Erfahrungen teils von ihren schmerzhaften, entwürdigenden Erinnerungen zu befreien. Nebst seiner Einleitung besteht das handliche 200-seitige Werk aus Übersetzungen von Überlebenden, ZeugInnen und Hinterbliebenen der Ethnie Maya Q’eqchi, deren Geschichte im Gegensatz zu jener der Regionen Ixil und Ixcán zum Beispiel viel weniger thematisiert wurde. Über die Region Ixil hat mich persönlich das fiktive, auf realen Fakten basierte Werk “Del Cielo a la Montaña” (Vom Himmel in die Berge) besonders beeindruckt und zu meinem letzten Artikel über die Ixiles inspiriert.

Das Recht auf Leben als AutorIn
Im Kontext von Krieg und Diktaturen nehmen die Rechte von AutorInnen eine ganz andere Stelle ein. So macht Ricardo Falla – guatemaltekischer Anthropologe, Jesuitenpater, Autor und Begleiter der CPR (Bevölkerung im Widerstand) in Ixcán in seinem Werk “Historia de un gran amor – Geschichte einer grossen Liebe” folgende Anekdote : Während es in der USA heisst “publish or perish – publiziere oder geh zu Grunde”, sei in seinem Fall zutreffender “gehe zugrunde und dann publiziere” , was aber der Erfahrung gemäss noch zutreffender schien, verglichen mit Fällen in El Salvador “publiziere und danach gehe zugrunde”.

Mit dieser Geschichte einer grossen Liebe wird ein Einblick in die Vorangehensweise und die Gefühle eines Autors gegeben, der seine ganze Energie dem Volk im Widerstand im Dschungel des Ixcáns widmet und bereit ist, dafür mit dem Leben zu bezahlen. Bereits der Titel dieses Werkes deutet auf die wundersame Weise hin, in der sich dieser Priester/Antropologe der Maya Bevölkerung annahm, die sich entschieden hatte, sich in den Dschungel zurück zu ziehen und so Widerstand zu leisten, statt den Militärattacken zu entfliehen oder sich der Guerrilla anzuschliessen. Trotz der Publikation wahrheitswiedergebender Werke (“Masacres de la Selva” 1993 und da oben Erwähnte 1995) vor Abschluss der Friedensübereinkommen blieb Don Ricardo Falla am Leben und beehrt uns am Donnerstag, 21.4.2016, mit einer Lesung aus seinem neuen Werk, welches der letzte Bestandteil eines ganzen Bandes über die Massaker im Ixcán darstellt.

Wer sein historisches Werk “Guatemala – Nie Wieder” für die kollektive Erinnerung mit dem Leben bezahlte, ist der Bischof Juan Gerardi. In seinem Bericht “Guatemala Nunca Más – REMHI” (Recuperación de la Memoria Historica – Wiederherstellung der historischen Erinnerung) werden ūber Tausende Zeugenaussagen der Überlebenden des internen Konflikts systematisiert und analisiert. Nur 2 Tage nach der Veröffentlichung dieses Berichts am 24. April 1998, welcher unvorstellbare Gräueltaten ans Licht brachte, wurde der Initiant Juan Gerardi gleich in der Garage seiner Kirche von einer Gruppe Militärs ermordet. Dieses tragische Ereignis wiederum bot Material für mehrere literarische Werke wie unter anderem Frank Goldmans “Die Kunst des politischen Mordes”, welches für wahrheitssuchende Krimiliebhaber, die emotional standhalten können, zu empfehlen ist.

Dies sind nur einige der vielen Bücher, die Guatemala zu bieten hat. Ich hoffe, mit diesem Einblick einige Wissbegierige zur Lektüre über die tragische und komplexe Vergangenheit dieses Landes, aber auch die faszinierende und vielfältige Kultur seines Volkes  bewegt zu haben.

Laura Kleiner, Guatemala Stadt, 23. April 2016

 

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