Wasser, Strom und Menschenrechte

GUATEMALA. Die ganze Welt spricht über den Klimawandel, über die Veränderungen, die uns bevorstehen und die Anpassungen, welche wir endlich vornehmen müssen, um das würdige Leben zukünftiger Generationen auf diesem Planeten zu gewährleisten. Im Angesicht der überwältigenden Dimension dieses schwer fassbaren Problems wird eine Vielzahl von Lösungsansätzen formuliert, welche gezwungenermassen immer eine massive Vereinfachung der Problemstellung bedeuten. So zum Beispiel die Zweiteilung in saubere Energiegewinnung, etwa durch Wasserkraft, und schmutzige Energiequellen, wie die Kohle.

Dass das kritische Hinterfragen dieser Vereinfachungen unverzichtbar ist, zeigt sich beispielhaft in der Energiepolitik von Guatemala, wo im Jahr 2017 über 50% der nationalen Energieproduktion durch Wasserkraftwerke geleistet wurde. Die Wasserkraft als  „grüne“ Energiequelle geniesst allerdings wenig Rückhalt bei der lokalen Bevölkerung und das hat verschiedene Gründe. Einer der wichtigsten Punkte ist, und dies ist bezeichnend für Guatemala, dass die Bevölkerung in der Umgebung der Wasserkraftwerke nicht von deren Energieproduktion profitiert.  Beispielhaft hierfür ist das Departamento Alta Verapaz, wo im Jahr 2016 mit bloss 44% landesweit die wenigsten Haushalte über einen Anschluss ans Stromnetz verfügten, wo sich aber auch beinahe ein Drittel der produzierenden Wasserkraftwerke befinden, unter anderen das grösste des Landes am Fluss Chixoy mit einer installierten Leistung von 300MW (für den Bau der Talsperre Chixoy starben zwischen 1980-1982  mehrere hundert Personen, welche sich der staatlich verordneten Umsiedlung widersetzten und deshalb von Polizeikräften, Soldaten und Milizionären massakriert wurden).  Als besonders störend kann man die Situation in der Gemeinde San Pedro Carchá in Alta Verapaz bezeichnen;  im Jahr 2016 waren lediglich 34% der Haushalte ans Stromnetz angeschlossen, obwohl sich auf dem Gemeindegebiet ein Komplex aus drei funktionstüchtigen Wasserkraftwerken mit einer installierten Leistung von über 240 MW befindet.

Um dieses scheinbare Paradox zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass Guatemala mit 11.49 GWh im Jahr 2017 zwar am meisten Strom in Zentralamerika produzierte, doch 16% der guatemaltekischen Stromproduktion exportiert werden. Dies ist wenig verwunderlich, weil über 80% des guatemaltekischen Stroms durch Private produziert wird, welche sich nicht verpflichtet fühlen, eine flächendeckende Stromversorgung im Land zu gewährleisten. Diese Zahlen widerspiegeln das Desinteresse des Staates, tatsächliche Verbesserungen des Lebensstandards der guatemaltekischen Bevölkerung herbeizuführen.

Ein weiterer und nicht minder wichtiger Grund für die Ablehnung der Mehrheit der grösseren Wasserkraftprojekte findet sich in der damit einhergehenden Umweltverschmutzung und der Schädigung des Ökosystems, was  den subsistenzwirtschaftlichen Lebensunterhalt der Gemeinschaften gefährdet, welche in der Umgebung der Kraftwerke leben.  Unter dem Leitspruch der wirtschaftlichen Entwicklung wird von staatlicher und privater Seite versucht, der betroffenen Bevölkerung weiszumachen, dass sie durch solche Megaprojekte neue Perspektiven erhalte. Tatsächlich werden durch die Schädigung des Ökosystems durch ebendiese Megaprojekte nicht neue Perspektiven für die dort lebenden Gemeinschaften geschaffen, sondern vielmehr wird die Möglichkeit abgeschafft, so zu leben, wie sie es für richtig halten, weil die Grundlage dafür zerstört wird. In den viel zu selten durchgeführten Befragungen der Lokalbevölkerung werden Wasserkraftprojekte denn auch mit meist überwältigender Mehrheit abgelehnt. Diese Tatsache führt dazu, dass die verantwortlichen staatlichen Behörden ihre Pflicht sträflich vernachlässigen, solche Befragungen nach den Bestimmungen des ILO-Übereinkommens 169 durchzuführen.

Die von juristischen Kämpfen begleitete Energiepolitik in Guatemala zeigt exemplarisch, wieso in der guatemaltekischen Bevölkerung weitverbreitetes Misstrauen gegenüber Staat und Unternehmen herrscht. Das Ringen um politische und ökonomische Teilhabe, alltägliche Diskriminierungen aufgrund von Rasse und Geschlecht, Kriminalität und fehlende Sicherheit prägen das Leben allzuvieler Guatemaltekinnen und Guatemalteken. Und so verwundert es auch nicht, dass sich hunderte guatemaltekische Frauen, Männer und Kinder den zentralamerikanischen Flüchtlingskarawanen anschlossen, um ihr Glück in den USA zu suchen.

Michael Kohli, Guatemala, Dezember 2018


Legende zum Titelbild: Das Wasserkraftwerk Chixoy ist mit einer installierten Leistung von 300MW das grösste des Landes.

One thought on “Wasser, Strom und Menschenrechte

  1. Andreas Schürch says:

    Lieber Michael
    Dein Bericht und deine Gedanken sind sehr interessant und habe deinen Artikel mit Interesse gelesen. Die Probleme hast du gut beschrieben und analysiert. Diese Situationen kenne ich recht gut.
    In der Schweiz gab es auch sehr ähnlich Probleme und Kämpfe. Dabei denke an die lang andauernde Geschichte ‘Urserenkraftwerk ‘, als die Ebene von Andermatt bis Realp als Stauseebecken dienen sollte, oder Enteignung der Lebensgrundlage der Bauern für den grossen Sihlsee bei Einsiedeln, allesmehrheitlich nur für die Städter. Zum Glück konnten sich die an vielen Orten Betroffenen Einheimischen wehren und konnten sich Wasserzinse sichern als Ausgleich. Heute müssen sie sie sich wieder wehren gegen Wasserzins-Senkungen versus grösseren Aktienertrag. Der grosse Unterschied Guatemala zu uns: wir wurden nicht kolonialisiert und durch ständige Gewalt und Missachtung von Menschenrechten geknechtet und ausgebeutet. Aktiv müssen wir in der Schweiz nun die Konzernverantwortungsinitiative unterstützen und die Organisation Public Eye, in der ich (vormals EvB) paar Jahre im Vorstand mitwirkte.
    Dein Engagement in Guatemala freut mich und wünsche dir viel Erfolg. Herzliche Grüsse Götti Res

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