KOLUMBIEN. Der Dienstag, 18. Juni, sollte ein grosser Tag für die Comunidades El Guayabo und Bella Unión werden. Die Agencia Nacional de Tierra (ANT) hat die Comunidades besucht, um einen weiteren wichtigen Schritt im Prozess um das Brachland, auf welchem sich die Parzellen der Campesin@s befinden, einzuleiten. Der Tag, in den grosse Hoffnung gesetzt wurde, entpuppte sich für die Comunidades jedoch als Enttäuschung.
Am Vorabend des 18. Juni klärt uns Santiago, der Hauptleader von El Guayabo, über den anstehenden Besuch der ANT auf. Im besten Fall werden morgen ihre Parzellen offiziell als Staatsbesitz anerkannt sein. Dies würde bedeuten, dass die Campesion@s, durch die langjährige Bewirtschaftung und teilweise Bewohnung dieses Grundstücks, das Recht darauf hätten, dort zu bleiben und kein Grossgrundbesitzer sie früher oder später vertreiben könnte.
Man merkt, dieser Besuch weckt Hoffnungen. Trotzdem scheint der Comunidad El Guayabo bewusst zu sein, wie wenig Gewissheit sie über die Absichten der ANT in den nächsten Tagen haben. Das Misstrauen der Comunidades gegenüber der ANT existiert nicht ohne Grund. Dass zum Beispiel der neue Direktor der ANT Verbindungen zur Palmölindustrie hat, oder dass die Leute von der ANT auch schon aus dem Nichts in den Comunidades aufgetaucht sind, ohne sich identifizieren zu können, fördert das Vertrauen nicht.
Am nächsten Tag um 10 Uhr stehen die betroffenen Campesin@s im Dorfzentrum für die ersten Informationen bereit. Die Comunidades bekommen neben unserer Begleitung auch von der Comisión Interlocusión, einem Verein der Region, und ihrer Anwältin Angela* Unterstützung. Die ANT ist mit drei Personen da: einem Anwalt, einem Topografen und einem Ingenieur. Sie werden von einem Abgeordneten der UNODC (Oficina de las Naciones Unidas contra la Droga y el Delito) begleitet. Eine weitere Person soll sicherstellen, dass die ANT ihre Arbeit korrekt ausführt.

Nach einer musikalischen Einleitung und einer kurzen Vorstellungsrunde ist es soweit. Der Anwalt der ANT hängt eine von Hand gezeichnete Skizze mit den zwei betroffenen Landteilen an die Wand. Er erklärt, dass die Parzellen von El Guayabo noch in Abklärung seien, aber der Teil von Bella Unión in den folgenden Tagen mit zwei Informationstransparenten und Pfeilern gekennzeichnet würden.
Mit dem Wissen, dass die ANT momentan nichts mit dem Land von El Guayabo tun kann oder wird, sitzen die El Guayaber@s ernüchtert und wortlos während der restlichen Informationsveranstaltung auf ihren Plastikstühlen. Nur kurz melden sich zwei Leader, als es Unklarheiten zu der Landaufteilung gibt. Die Enttäuschung ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie werden auf einen neuen Termin warten müssen.
Bei den Leuten von Bella Unión sieht es anders aus. Sie wirken interessiert und angespannt zugleich. Trotz diesen guten Nachrichten für viele Bewohner*innen von Bella Unión, kommt Unruhe auf. Zwei Leader der Comunidad sind nicht zufrieden mit der Abgrenzung. Die Veranstaltung hat sich zu einer Diskussion gewandelt und scheint mehrere Leute verunsichert zu haben. Angela, die Anwältin, hat das Problem erkannt und löst auf. Offenbar wurde die Handskizze in einem falschen Winkel aufgehängt. Eine kleine Erleichterungswelle geht durch die Dorfbewohner*innen. Dies ermöglicht der ANT, kurz Luft zu holen. Die Verschnaufpause ist jedoch nicht von langer Dauer. Irgend etwas an der Aufteilung scheint immer noch Besorgnis zu erregen. Gewisse Teile, die im Moment von Campesin@s bewirtschaftet werden, sind als privates Grundstück gekennzeichnet. Die ANT versucht, die Leute zu beruhigen. Sie wisse, dass die Campesin@s in der Vergangenheit vom Staat nicht immer korrekt informiert oder getäuscht worden seien. Dieses Mal wolle sie transparent und ehrlich sein. Als der Anwalt der ANT auf die Skizze zeigt, meint er: „Und das hier ist für heute die Wahrheit.“ Angela kommt ihnen zu Hilfe und erklärt den Leuten, dass es, auch wenn nicht alles Erhoffte in den nächsten Tagen gemacht werden kann, bereits ein wichtiger Schritt ist. „Die Zeit in der die ANT da ist, ist wertvoll. Lasst sie uns gut nützen.“ Kurz danach ist die Veranstaltung beendet. Nach dem Mittagessen beginnt der Topograf, die Markierungen der Landesabgrenzung anzubringen. Er wird von einer Leaderin aus Bella Unión und der Anwältin begleitet. Wir warten mit dem Rest der ANT und einigen Bewohnern auf das Informationstransparent. Zweieinhalb Stunden in einer feuchten Hitze mit hartnäckigen Mücken. Diese Umstände helfen nicht, optimistisch zu bleiben, als das Transparent zwar endlich da ist, aber leider mit falschen Informationen. Was bedeutet, dass es heute nicht aufgestellt wird. Der Frust ist auf allen Seite zu spüren.

Am Mittwochabend findet bereits die zweite Zusammenkunft der Comunidad El Guayabo nach dem Besuch der ANT statt. Die Angst auf eine unsichere Zukunft scheint zwar noch da zu sein, doch mutige Worte sind ebenfalls bei verschiedenen Personen rauszuhören. Die charismatische Rede von Santiago hat Wirkung gezeigt: “Sie nehmen uns nicht einfach das Land, sondern sie brechen uns das Herz. Dieses Land ist unser Leben.“ Am Ende des Treffens sehe ich viele entschlossene Gesichter. Diese Comunidad gibt nicht so einfach auf!
Freitagnachmittag. In Bella Unión wurden schliesslich alle Pfeiler montiert und die richtigen Informationstransparente angebracht. Am Tag danach werden wir Fotos von Marta*, einer Leaderin, bekommen. Sie zeigen ein zerstörtes Transparent und beschädigte Pfeiler. Alle Betroffenen sind sich einig: Dies war keine Willkür. Dieser Vandalismus trägt die Unterschrift des Grossgrundbesitzers, der seit langer Zeit gegen die Campesin@s kämpft und vor keinem Mittel zur Einschüchterung oder Schlimmerem zurückschreckt.
Eines ist klar, der Besuch der ANT hat aufgewühlt. El Guayabo hofft weiter darauf, dass ihre Parzellen nicht als privates Grundstück registriert werden und der obenerwähnte Grossgrundbesitzer nicht doch noch gewinnt. Bei Bella Unión ist unsicher, wie der Grossgrundbesitzer mit dem Entscheid der ANT umgehen und ob es zu weiteren Aktionen kommen wird. Zusätzlich wurde der Comunidad während dieser Woche mitgeteilt, dass das Land im Staatsbesitz natürlich jederzeit vom Staat genutzt werden könnte. Für eine kleine Entschädigung könnten die Campesion@s, nach jahrelangem Prozess gegen einen Grossgrundbesitzer, nun doch vertrieben, oder in den Worten des Staats, umgesiedelt werden. Der Kampf geht bei beiden Comunidades weiter. In El Guayabo ist der Feind der gleiche geblieben. In Bella Unión fragt man sich verständlicherweise, ob der Staat nun seit dem 18.Juni zum Gegner geworden ist.
*Name geändert
Mélanie Schmutz, 05.Juli 2019, Barrancabermeja
Fotos: Vera Zürcher, PWS