Honduras. Erfahrungsbericht zu meinem ersten Eindruck in Honduras: Ich bin empört!

Ich bin erst seit gut zwei Monaten hier in Honduras und es fällt mir schwer zu glauben, was ich sehe, höre und lese. Ich wusste ja, bevor ich hierherkam, dass die Situation  in Land schwierig und kompliziert ist. Aber dies im Detail zu sehen, lässt mich staunen und macht mich wütend.

Die Ungerechtigkeit und die Heuchelei in der Führung dieses Landes sind unverschämt. Es gibt etliche Organisationen, die für Gerechtigkeit kämpfen, sich einsetzen, die Menschenrechte verteidigen und schützen – aber Veränderungen zeigen sich nur langsam.

Die Welt interessiert es nicht sonderlich und die honduranische Regierung macht weiterhin, was sie will. Das Land wird als Geldfabrik für einige wenige Mächtige genutzt. Die Bürger*innen werden entmenschlicht, die Rechte werden ihnen verweigert und ihre Besitztümer enteignet. Sie werden als Hindernis auf dem Weg zu mehr Geld behandelt. Sie werden kriminalisiert und ins Gefängnis gesteckt, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen. Die Urteile, welche die Betroffenen erhalten, sind hart und stehen in einem krassen Gegensatz zu dem, was die echten Kriminellen dieses Landes erwarten können.

Das Rechtssystem – eifrig den Reichen zu gefallen – ist schnell darin, kleinere oder erfundene Straftaten, die von Reichen und Mächtigen angezeigt werden, zu bestrafen. Jedoch ist es langsam bis untätig, wenn diejenigen, die anklagen, die Verwundbarsten der Gesellschaft sind. Das kann täglich in den Medien gelesen werden, sichtbar für alle.

Aber ich schätze, viele von uns haben sich schon damit abgefunden, dass so ein System in der ganzen Welt funktioniert. Zu erschöpft, um uns damit zu beschäftigen. Ist es das? Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mache Sie oder mich nicht dafür verantwortlich, was hier passiert. Ich bin lediglich verblüfft über unsere Welt. Den grössten Teil meines Lebens habe ich in einer Blase von Halbwissen und Apathie verbracht. Ich bewundere die Art und Weise, wie sich die Menschen in diesem Landes einsetzen, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben oder ihre Sicherheit.

Die Welt ist komplizierter geworden, ich weiss. Anderen Menschen zu helfen ist komplizierter geworden. Es bedeutet nicht mehr nur, der einen armen Person in der Nachbarschaft zu helfen, weil diese die Einzige ist, die man kennt. Jetzt haben wir Zugang zu Informationen über jede Ungerechtigkeit in dieser Welt. Und davon gibt es so viele. Warum gibt es so viele? Könnte es sein, dass das System nicht richtig funktioniert? Naja, es funktioniert für einige wenige: einige wenige Mächtige – und das ist der Grund, warum sich nichts verändert.

Wir können einfach weghören und sind zufrieden. Aber ich denke, es wäre gut, wenn wir hinhören, hinsehen und es uns ungemütlich werden lassen würden. Und es anderen ungemütlich machen würden, denn das ist der einzige Weg, wie sich etwas ändern kann. Solange es die Mächtigen gemütlich haben, haben sie keinen Grund zu handeln.

Wagen wir es, hinzusehen! Wagen wir es, es uns ungemütlich werden zu lassen. Wagen wir es, zu schauen, was unsere Menschlichkeit von uns fordern wird.

Sandra Kühne, PWS-Menschenrechtsbegleiterin im PWS-Projekt ACO-H in Honduras. Tegucigalpa, Juni 2021

Titelbild: Feministische Mahnwache im Gedenken an Berta Cáceres, honduranische Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin, die im März 2016 in ihrem Haus brutal ermordet wurden. Die Mahnwache begleitet die laufenden Gerichtsverhandlungen zur Aufklärung des Falls am Obersten Gerichtshof in Tegucigalpa. ©PWS